Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Totensammler

Die Totensammler

Titel: Die Totensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PAUL CLEAVE
Vom Netzwerk:
stellt sie wieder ab. Seine Mum schaut zu mir herüber, lächelt und verdreht die Augen. Ich erwidere ihr Lächeln. »Um elf bin ich nach Haus gekommen und am nächsten Morgen dann zur Vorlesung gegangen, nur um festzustellen, dass sie wegen der Hitze ausfiel. Im Laufe des Tages haben wir ein paar SMS ausgetauscht, bis sie zur Arbeit musste, und das war’s. Wir hatten gar nicht vor, uns am Montagabend zu treffen. Als sie dann gestern auf meine Anrufe nicht reagiert hat, habe ich mit ihrer Mitbewohnerin gesprochen, doch die dachte, Emma wäre bei mir. Ihr Chef rief ebenfalls an, weil er wissen wollte, wo sie steckt. Ich fand das seltsam und hab mir Sorgen gemacht, aber nicht die Polizei verständigt. Denn so was Schreckliches stößt doch nur anderen zu, oder?«
    »Schön wär’s«, sage ich.
    »Aber das hab ich anfangs gedacht. Darum habe ich erst mal mit ihren Eltern telefoniert. Und die haben alle Leute, die sie kennen, angerufen, und schließlich die Polizei. Doch die Beamten glauben nicht, dass sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist.«
    Ich sage ihm nicht, dass das nicht stimmt.
    »Hat ihr die Arbeit Spaß gemacht?«, frage ich.
    »Wem macht seine Arbeit schon Spaß?«
    »Was ist mit ihren Exfreunden?«
    »Ich bin ihr erster Freund«, sagt er.
    Ich nehme einen Schluck vom Tee, um höflich zu sein. Er schmeckt genau, wie ich erwartet habe. Die Mutter lächelt mich an, und für etwa zehn Sekunden wird weder gesprochen noch gestikuliert. Währenddessen versuche ich, mir ein Bild von Rodney zu machen, auch wenn ich weiß, dass ich früher mit meinen Einschätzungen immer weit danebenlag. Kann es sein, dass dieser Junge Emma getötet und entsorgt hat?
    Ich glaube nicht.
    »Aber es ist doch denkbar, dass sie noch lebt, oder?«, fragt er. »Ich meine, auch wenn sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist und verletzt wurde, kann sie immer noch am Leben sein.«
    »Natürlich«, sage ich, unfähig, ihm zu erzählen, was Schroder und ich vermuten – dass Emma Green tot ist. Die Verzweiflung, die Rodney bereits fühlt, wird nur noch schlimmer werden.
    Kapitel 10
    Die Zelle ist in völlige Dunkelheit getaucht. Der Schuh in seiner Hand ist inzwischen ganz warm, weil er damit die letzten Minuten unablässig gegen die Tür gehämmert hat. Doch Adrian kommt nicht zurück. Es war ein Fehler, ihn anzubrüllen. Obwohl ihm das schon vorher klar war, konnte er sich nicht beherrschen. Ihm war das Blut zu Kopf gestiegen, und ein animalischer Instinkt hatte ihn dazu getrieben, zuzuschlagen und die Stimme in seinem Innern zu ignorieren, die ihn aufforderte, die Klappe zu halten, die Ruhe zu bewahren und nichts Unüberlegtes zu tun. Aber vielleicht konnte er die Stimme wegen der dröhnenden Kopfschmerzen auch gar nicht hören. Wenn er hier lebend wieder rauswill, muss er seine Gefühle im Zaum halten. Und auf diese Stimme hören.
    In der Dunkelheit kommt ihm die Zelle noch kälter vor, und er atmet jetzt schwerer, keuchende Atemzüge, von denen ihm schwindlig wird. Er lehnt sich gegen die Tür und zieht seinen Schuh wieder an, dann tastet er sich an der Wand zum Bett hinüber; der Beton fühlt sich feucht an, und seine Füße schlurfen über den Boden. Er setzt sich und wartet, dass seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnen, doch vergeblich. Das einzige Licht, das in den Keller fällt, kommt durch die Ritzen der Tür draußen im Erdgeschoss, es ist so schwach, dass er lediglich die oberste Treppenstufe erkennen kann. Das Bett quietscht unter ihm, und er legt das Kissen zwischen seinen Rücken und die Wand, lehnt sich dagegen, faltet seine Beine zum Schneidersitz und verharrt, die Handgelenke auf den Knien, in dieser Position, während er über Adrian nachdenkt.
    Komm schon, jedes Mal wenn in dieser Stadt jemand ermordet wird, erstellst du ein Profil des Killers und vergleichst es mit den Beschreibungen in den Zeitungen, sobald er geschnappt wurde. Das ist eine Art Spiel, und Christchurch hat dir oft die Möglichkeit gegeben, es zu spielen. Jetzt ist es dasselbe – wenn du hier rauswillst, musst du zunächst ein Profil erstellen.
    Er muss sein Spiel spielen.
    Im Laufe der Jahre haben seine Profile dazu beigetragen, Verdächtige zu identifizieren, und den Personentyp eingegrenzt, der den Mord begangen haben könnte. Jetzt muss er herausfinden, was der Verdächtige will, wie er ihm suggerieren kann, dass er sein Ziel erreicht, und wie er selbst aus dieser verdammten Zelle herauskommt. Wenn er einen Notizblock hätte, würde er

Weitere Kostenlose Bücher