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Die Totensammler

Die Totensammler

Titel: Die Totensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PAUL CLEAVE
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die Person, die gegen den Müllcontainer gefahren ist, also gar nichts mit Emmas Verschwinden zu tun. Es kann gestern passiert sein oder vor drei Tagen. Jedenfalls bringt mich das nicht weiter. Wenn der Verdächtige mit Emmas Auto gefahren ist, wie ist er dann zum Tatort gekommen? Mit dem Bus? Mit dem Taxi? Oder wohnt er in der Nähe und ist gelaufen?
    Die Polizei sammelt inzwischen die Zahlungsbelege aus dem Café und erstellt nach und nach eine Liste der Kunden von diesem Tag. Doch das Problem ist, dass die meisten Leute, die fünf bis zehn Dollar für einen Kaffee und einen Muffin ausgegeben haben, nicht mit Kreditkarte bezahlt haben.
    In der Wohnung sind weder irgendwelche merkwürdigen Gestalten aufgetaucht noch Installateure, Gärtner oder ein unheimlicher Vermieter, es gab keine seltsamen Telefonanrufe, und vor dem Haus hat auch niemand herumgelungert. Die Mitbewohnerin lässt mich einen Blick in Emmas Zimmer werfen, etwa zwölf Stunden, nachdem die Polizei hier war. Nach der Durchsuchung heute Morgen liegen sämtliche Gegenstände an einer anderen Stelle, und alles, was von Bedeutung sein könnte, wurde mitgenommen. Ich bleibe eine Stunde in der Wohnung, um meine Fragen zu stellen, und als ich aufbreche, bin ich frustrierter als bei meiner Ankunft.
    Kurz vor neun treffe ich zu Hause ein. Es war ein langer Tag; als ich heute früh aufgewacht bin, war ich noch im Gefängnis. Draußen brettern ein paar Jugendliche mit ihren Skateboards die Straße entlang, einige werfen sich einen Football zu, andere spielen Fangen. Nicht mehr lange, und die Sonne ver schwindet hinterm Horizont, doch noch spiegelt sie sich hell in den Fenstern der Häuser, ein glühender orangefarbener Feuerball, der versucht, das Glas zum Schmelzen zu bringen. Zum ersten Mal seit vier Monaten kann ich zusehen, wie die Sonne langsam untergeht, und dieser Anblick war noch nie so umwerfend wie heute. Vier Monate lang wurden Tag und Nacht durch das Umlegen eines Schalters bestimmt. Es fällt mir schwer, zu glauben, dass ich morgen in meinem eigenen Bett aufwachen werde. Und dass Emma Green den Sonnenuntergang jetzt sieht. Es ist der perfekte Abend für ein Bier, doch ich habe mir geschworen, nie wieder eins anzurühren.
    Ich bleibe draußen, bis die Sonne ganz verschwunden ist; die Kinder auf der Straße sind inzwischen nicht mehr zu hören. Die Temperatur sinkt auf erträglichere zwanzig Grad. Ich schaue mir die Spätnachrichten an, doch weder Emma Green noch Melissa kommen darin vor. Die Nachrichten unterscheiden sich nicht von denen, die ich gesehen habe, bevor ich für vier Monate weggesperrt wurde – überall in der Stadt, überall im Land, überall in der Welt tun böse Menschen guten Menschen böse Dinge an. Das Bild wird allmählich unscharf, während meine Lider immer schwerer werden. Das Feuer, zu dem Schroder heute gefahren ist, wird kurz erwähnt. Bei dem Opfer, das sie vom Boden kratzen mussten, handelt es sich um eine Krankenschwester namens Pamela Deans. Ein Foto von ihr in Schwesternkleidung wird eingeblendet. Ich muss für einen Moment an Melissa denken, doch all ihre Opfer waren Männer, außerdem passt das Feuer nicht zu ihr. Das Bild muss mindestens mehrere Jahre alt sein: Pamela ist darauf um die fünfzig und hat ihr schwarzgrau gestreiftes Haar zu einem festen Knoten nach hinten gebunden; ihr trauriges Lächeln kommt womöglich von ihrem Doppelkinn, das ihre Mundwinkel nach unten zieht.
    Ich rappele mich auf, mache mir einen Kaffee und werfe noch mal einen Blick in die Akte, die Schroder mir mitgegeben hat. Ich rufe ihn an, damit er mich auf den neuesten Stand bringt, doch es springt nur die Mailbox an. Ich hinterlasse ihm eine Nachricht. Einige der Fakten in Emmas Ordner sind bereits vom letzten Jahr bekannt, als ich in ihr Leben geplatzt bin. Einen Tag nachdem ich sie angefahren habe, hatte sie Geburtstag; dieses Jahr wird sie achtzehn. Ihr älterer Bruder Jason lebt in Australien. Sie hat blondes Haar, haselnussbraune Augen und zieht mit ihrem attraktiven Äußeren bestimmt die Blicke der Männer auf sich. Vielleicht ist sie deswegen entführt worden .
    Mein Handy klingelt, und ich hoffe, es ist Schroder, doch es ist Donovan Green. Auch er möchte auf den neuesten Stand gebracht werden. Also erzähle ich ihm, dass ich mit Emmas Freund, ihrem Chef und ihrer Mitbewohnerin gesprochen habe und dass ich morgen einige ihrer Kommilitonen befragen werde. Ich erkläre ihm, dass viele Leute keine Lust haben werden, mit mir zu reden,

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