Die Totgesagten
hellrotes Kostüm und eine dicke Goldkette. Als er ihr den Mantel abnahm und ihr Parfüm roch, schloss er für einen Moment die Augen. Er konnte einfach nicht begreifen, wieso diese Frau eine derartige Wirkung auf ihn hatte. Mit zitternden Händen hängte er den Mantel auf einen Kleiderbügel und zwang sich, tief durchzuatmen. Er durfte sich schließlich nicht wie ein nervöser Jüngling aufführen.
Während des Essens unterhielten sie sich angeregt. Rose-Maries Augen glänzten im flackernden Kerzenlicht, und Mellberg gab unzählige Anekdoten aus seiner Polizeilaufbahn zum Besten, angestachelt durch ihre offensichtliche Begeisterung. Als zwei Flaschen Wein geleert und Haupt- und Nachspeise aufgegessen waren, machten sie es sich auf dem Sofa im Wohnzimmer bequem, wo Mellberg Kaffee und Kognak servierte. Er spürte die Spannung im Raum und war sich seiner Sache immer sicherer. Heute Abend würde es rundgehen. Rose-Marie sah ihn mit diesem gewissen Blick an, der nur eins bedeuten konnte. Aber er wollte kein Risiko eingehen, indem er den nächsten Schritt im falschen Moment machte. Er wusste, wie empfindlich Frauen auf schlechtes Timing reagierten. Doch schließlich konnte er sich nicht mehr beherrschen. Er sah das Glitzern in Rose-Maries Augen, nahm noch einen kräftigen Schluck Kognak – und ging ran wie Hektor an die Buletten.
Donnerwetter … Er wurde nicht enttäuscht. Mellberg glaubte mitunter, er wäre gestorben und im Himmel wie deraufgewacht. Spät in der Nacht schlief er mit einem Lächeln auf den Lippen ein und glitt sofort in einen schönen Traum von Rose-Marie. Zum ersten Mal im Leben war Mellberg in den Armen einer Frau glücklich. Er drehte sich auf den Rücken und fing an zu schnarchen. Neben ihm lag Rose-Marie und blickte an die Decke. Auch sie lächelte.
»Was soll der Mist?« Gegen zehn kam Mellberg in die Dienststelle gestürmt. Er war generell kein Morgenmensch, aber heute sah er besonders kaputt aus.
»Habt ihr das gesehen?« Er fuchtelte mit einer Zeitung, raste an Annika vorbei und riss Patriks Tür auf, ohne anzuklopfen.
Annika spitzte die Ohren, hörte aber nur vereinzelte Kraftausdrücke aus Patriks Zimmer.
»Worum geht es denn?«, fragte Patrik ruhig, als Mellberg endlich mit seiner Schimpftirade fertig war. Mit einer Handbewegung bot er seinem Chef einen Stuhl an. Mellberg sah aus, als würde er jeden Moment einen Herzinfarkt bekommen, und obwohl Patrik ihm insgeheim schon öfter den Tod an den Hals gewünscht hatte, wollte er möglichst vermeiden, dass Mellberg ausgerechnet in seinem Zimmer tot zusammensackte.
»Hast du das gesehen? Diese … Idioten …« Mellberg bekam vor Wut kein Wort mehr heraus. Stattdessen knallte er Patrik die Zeitung auf den Tisch. Voll böser Vorahnungen drehte Patrik die Zeitung um und las, was auf der ersten Seite stand. Als er die fette Überschrift sah, kochte auch in ihm die Wut hoch.
»Ach, du Scheiße!«, zischte er. Mellberg nickte nur und ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Woher haben die das?« Nun wedelte Patrik mit der Zeitung.
»Was weiß ich? Aber wenn ich den erwische …«
»Was steht noch drin? Lass mal sehen, hier, in der Mit te.«Mit zitternden Händen schlug Patrik die Zeitung auf. Seine Miene wurde immer finsterer. »Diese … widerlichen ….«
»Ja, die vierte Macht im Staat ist eine wunderbare Einrichtung.« Mellberg schüttelte den Kopf.
»Das muss Martin sich auch ansehen.« Patrik ging in den Flur und rief nach seinem Kollegen. Dann setzte er sich wieder.
Einen Augenblick später stand Martin in der Tür. »Ja?« Patrik hielt ihm schweigend die Titelseite des Boulevardblatts hin.
Der las laut die Schlagzeile vor: »Exklusiv – das Tagebuch des ermordeten Mädchens. Hat sie ihren Mörder erkannt?« Ungläubig starrte er Patrik und Mellberg an.
»Der Auszug aus dem Tagebuch ist in der Mitte«, erklärte Patrik grimmig. »Hier, lies.« Er reichte seinem Kollegen die Zeitung.
»Meint ihr, das stimmt?«, wollte Martin wissen, als er fertig war. »Ist das echt? Hat sie wirklich Tagebuch geschrieben? Oder haben sich das die Zeitungsleute aus den Fingern gesogen?«
»Das werden wir herausfinden. Und zwar sofort.« Patrik stand auf. »Willst du mitkommen, Bertil?«, fragte er pflichtbewusst.
Mellberg überlegte einen Moment, schüttelte dann aber den Kopf. »Nein, ich habe zu viel zu tun. Fahrt ihr.«
So müde, wie Mellberg aussah, bestand sein wichtigstes Vorhaben vermutlich in einem Nickerchen, dachte Patrik. Er war
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