Die Totgesagten
ihn mir bei Gelegenheit mal vorknöpfen. Ob das wirklich so eine gute Idee ist, sich von dir zum Altar schleifen zu lassen?« Dan war schon fast oben.
»Sehr witzig. Rauf mit dir!«
Auf den letzten Stufen blieb ihm das Lachen im Hals stecken. Er hatte Anna kaum gesehen, seit sie mit den Kindern bei Erica und Patrik wohnte. Wie jeder andere Schwe de hatte er die ganze Tragödie in der Presse verfolgt, aber immer wenn er bei Erica zu Besuch gewesen war, hatte sich Anna zurückgezogen. Anscheinend schloss sie sich die meiste Zeit im Schlafzimmer ein.
Vorsichtig klopfte er an die Tür. Keine Reaktion. Er klopfte noch einmal.
»Anna?Hallo? Hier ist Dan – darf ich reinkommen?« Immer noch keine Antwort. Ihm war nicht ganz wohl in seiner Haut, aber da er Erica nun mal seine Hilfe zugesagt hatte, musste er das Beste aus der Situation machen. Also atmete er tief durch und öffnete die Tür. Anna lag auf dem Bett. Er sah, dass sie wach war. Sie hatte die Hände auf dem Bauch gefaltet und starrte an die Decke. Als er eintrat, blickte sie nicht einmal in seine Richtung. Dan setzte sich auf die Bettkante. Noch immer keine Reaktion.
»Wie geht es dir?« »Rat mal.« Anna wendete den Blick nicht von der Zimmerdecke ab. »Du siehst nicht gut aus. Erica macht sich Sorgen um dich.«
»Erica macht sich immer Sorgen um mich.«
Dan lächelte. »Stimmt. Sie kann eine richtige Glucke sein, oder?« »Hm.« Anna drehte sich zu Dan um. »Aber sie meint es gut. Momentan macht sie sich ein
bisschen mehr Sorgen als sonst.«
»Das kann ich verstehen.« Anna stieß einen langen, tiefen Seufzer aus. »Ich weiß einfach nicht, wie ich hier wieder rauskomme. Ich habe überhaupt keine Kraft mehr. Und ich fühle nichts. Ich bin nicht traurig und nicht froh. Ich empfinde gar nichts.«
»Hast du mal mit jemand darüber geredet?«
»Meinst du einen Therapeuten oder so? Damit liegt mir Erica auch in den Ohren. Aber selbst dazu kann ich mich nicht aufraffen. Mit einem wildfremden Menschen reden. Über Lucas. Über mich. Ich kann das nicht.«
»Würdest du …« Dan zögerte. Er war nervös. »Könntest du dir vorstellen, dich ein bisschen mit mir zu unterhalten? Wir kennen uns zwar nicht so gut, aber ich bin wenigstens kein völlig Fremder.«
Gespannt wartete er auf ihre Antwort. Er hoffte, dass sie ja sagen würde. Beim Anblick ihres viel zu dünnen Kör persund des gehetzten Blicks empfand er plötzlich einen starken Beschützerinstinkt. In gewisser Hinsicht war sie Erica ähnlich, in mancher auch wieder nicht. Sie wirkte wie eine ängstlichere und zerbrechlichere Ausgabe von Erica.
»Ich … ich weiß nicht«, erwiderte Anna zögernd. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll, … wo ich anfangen soll …«
»Wir könnten mit einem kleinen Spaziergang anfangen. Wenn du reden möchtest, reden wir. Wenn du nicht willst, gehen wir einfach ein bisschen. Okay?« Er hörte selbst, wie bemüht er klang.
Vorsichtig setzte Anna sich auf. Eine Weile blieb sie mit dem Rücken zu ihm sitzen, dann stand sie auf. »In Ordnung, wir machen einen Spaziergang. Aber nur einen Spaziergang.«
»Einverstanden.« Dan ging vor Anna die Treppe hinunter und warf einen Blick in die Küche, wo Erica mit den Töpfen klapperte.
»Wir gehen eine Runde spazieren.« Aus dem Augenwinkel sah er, wie Erica angestrengt versuchte, unbeeindruckt zu wirken.
»Es ist frisch draußen, zieh dir besser eine Jacke an.« Anna hörte auf seinen Rat, schlüpfte in einen beigefarbenen Dufflecoat und wickelte sich einen langen weißen Schal um den Hals.
»Bist du bereit?« Erst hinterher fiel ihm auf, dass die Frage auch anders verstanden werden konnte.
»Ich glaube schon«, antwortete Anna leise und folgte ihm in die Frühlingssonne.
»Glaubst du, dass man sich jemals daran gewöhnt?«, fragte Martin auf der Fahrt nach Fjällbacka.
»Nein«, gab Patrik zurück. »Jedenfalls hoffe ich das. Sonst wäre es an der Zeit, den Beruf zu wechseln.« Er fuhr mit viel zu hoher Geschwindigkeit durch die Kurve in Långsjö, und Martin klammerte sich wie üblich krampfhaft an den Haltegriff. Er notierte sich in Gedanken, dass erdie neue Kollegin vor Autofahrten mit Patrik warnen musste. Obwohl – dafür war es ja bereits zu spät. Sie war am Vormittag schon mit Patrik zum Unfallort gefahren. Ihr erstes Nahtoderlebnis hatte sie also hinter sich.
»Was macht sie für einen Eindruck?«
»Wer?« Patrik wirkte noch zerstreuter als sonst.
»Die Neue. Hanna Kruse.«
»Doch, die scheint in Ordnung
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