Die Totgesagten
hätte sie wenigstensdavon abhalten können, sich mit Schuldgefühlen zu quälen. Doch stattdessen musste er die Sache noch schlimmer machen.
»Wir …« Er räusperte sich. »Wir haben den Verdacht, dass sie während des Unfalls unter erheblichem Alkoholeinfluss stand. Hatte sie ein Alkoholproblem?«
Er trank einen Schluck Kaffee und wünschte sich ganz weit weg. Überallhin, nur nicht hierher, in diese Küche mit diesen Fragen und dieser Trauer. Kerstin sah ihn erstaunt an.
»Marit trank nie Alkohol. Jedenfalls nicht, seit ich sie kenne, und das sind immerhin schon vier Jahre. Sie mochte den Geschmack nicht, sagte sie. Sie trank nicht einmal Cidre.«
Patrik warf Martin einen bedeutungsvollen Blick zu. Ein weiteres Detail, das zu dem merkwürdigen Gefühl passte, das er vor einigen Stunden am Unfallort verspürt hatte.
»Sind Sie da ganz sicher?« Die Frage klang dumm, Kerstin hatte sie ja bereits beantwortet, aber es durften keine Unklarheiten bleiben.
»Absolut! Ich habe sie nie, wirklich nie Alkohol trinken sehen, weder Wein noch Bier oder sonst irgendwas. Allein die Vorstellung, dass sie sich betrunken ans Steuer gesetzt haben soll … Nein, das kann nicht sein.« Verwirrt blickte sie vom einen zum anderen. Was diese beiden ihr erzählten, passte hinten und vorne nicht zusammen – Marit trank einfach nicht.
»Wie können wir ihre Tochter erreichen? Haben Sie die Adresse von Marits Exmann?« Martin nahm Block und Stift aus der Tasche.
»Er wohnt in der Kullensiedlung in Fjällbacka. Die genaue Adresse habe ich hier.« Sie nahm einen Zettel von der Pinnwand und reichte ihn Martin. Immer noch schien sie verwirrt, die seltsamen Neuigkeiten hatten ihre Tränen für einen Augenblick getrocknet.
»WollenSie wirklich nicht, dass wir jemand für Sie anrufen?« Patrik stand auf.
»Nein. Ich möchte jetzt am liebsten allein sein.«
»Okay. Rufen Sie an, wenn etwas ist.« Patrik legte seine Visitenkarte auf den Tisch.
Kurz bevor die Tür hinter ihm und Martin zufiel, drehte er sich noch einmal um. Kerstin saß noch immer am Küchentisch. Vollkommen reglos.
»Annika! Ist die Neue schon da?«, brüllte Mellberg in den Flur hinaus.
»Ja!« Annika bewegte sich nicht vom Empfangstresen weg.
»Wo steckt sie denn?«
»Hier«, antwortete eine Frauenstimme. Einen Augenblick später erschien Hanna im Flur.
»Ach so, ah ja, nun, falls Sie nicht zu beschäftigt sind, möchten Sie vielleicht zu mir hereinkommen und sich vorstellen?« Mellberg klang angesäuert. »Es ist so üblich, dass man seinen neuen Chef begrüßt, normalerweise tut man das an einem neuen Arbeitsplatz als Erstes.«
»Ich bitte um Verzeihung.« Hanna ging mit ausgestreckter Hand auf Mellberg zu. »Aber als ich ankam, hat mich Patrik Hedström sofort zu einem Außeneinsatz mitgenommen. Ich bin gerade erst zurückgekehrt. Selbstverständlich war ich auf dem Weg zu Ihnen. Zunächst muss ich sagen, dass ich unheimlich viel Gutes von Ihrer Arbeit hier gehört habe. Die Mordfälle der vergangenen Jahre haben Sie hervorragend gelöst. Es wurde viel über den fantastischen Chef geredet, den Tanum haben muss. Sonst wäre eine so kleine Dienststelle kaum in der Lage, ihre Ermittlungen so erfolgreich durchzuführen.«
Sie drückte ihm fest die Hand. Mellberg betrachtete sie argwöhnisch. Hatte er da eventuell einen ironischen Unterton herausgehört? Doch da sie ihn ernst anblickte, musste er sich wohl geirrt haben. Das Kompliment ging ihmrunter wie Öl. Vielleicht waren Frauen in Uniform besser als ihr Ruf. Ein netter Anblick war sie jedenfalls. Für seinen Geschmack etwas zu mager, aber nicht übel. Gar nicht übel. Allerdings empfand er nach dem gelungenen Telefongespräch am Vormittag nicht mehr den gleichen Kitzel beim Anblick einer attraktiven Frau. Zu seiner großen Verwunderung wanderten seine Gedanken zu Rose-Maries warmer Stimme und ihrer freudigen Zusage, als er sie zum Essen einlud.
»Nun denn, im Flur können wir nicht stehen bleiben.« Widerwillig riss er seine Gedanken von dem angenehmen Telefonat los. »Wir gehen mal in mein Büro und unterhalten uns ein bisschen.«
Hanna setzte sich ihm gegenüber.
»So, so, Sie haben also bereits mit der Arbeit angefangen?«
»Wie gesagt, Kommissar Hedström hat mich zu einem Autounfall mitgenommen. Es war nur ein Wagen beteiligt. Bedauerlicherweise gab es ein Todesopfer.«
»So etwas kommt hin und wieder vor.«
»Unserem ersten Eindruck nach war Alkohol im Spiel. Die Fahrerin stank fürchterlich nach
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