Die Totgesagten
dezent norwegische Sprachmelodie ließ Patrik vermuten, dass Ola sein Heimatland Norwegen schon vor vielen Jahren verlassen haben musste.
»Dürfen wir reinkommen und uns setzen? Ich heiße übrigens Patrik Hedström, und das ist mein Kollege Martin Molin.«
»Aha, ja.« Ola machte immer noch ein ratloses Gesicht. »Wir können uns dort hinsetzen.« Wie neun von zehn Menschen bat er Martin und Patrik in die Küche. Aus irgendeinem Grund schienen sich die Leute in der Küche am sichersten zu fühlen, wenn sie Besuch von der Polizei bekamen.
»Womit kann ich Ihnen denn helfen?« Ola setzte sich neben seine Tochter, den beiden Polizisten gegenüber, und begann, die Fransen der Tischdecke glattzustreichen. Sofie warf ihm einen irritierten Blick zu. Warum konnte er nicht einmal jetzt seinen zwanghaften Ordnungssinn vergessen?
»Wir …« Der Mann, der sich ihr als Patrik Hedström vorgestellt hatte, hielt kurz inne. Plötzlich bekam Sofie ein komisches Gefühl im Bauch. Am liebsten hätte sie sich die Ohren zugehalten und gesummt, wie sie es als Kind immer gemacht hatte, wenn Mama und Papa sich stritten. Aber sie wusste, dass sie dafür zu alt war.
»Leider müssen wir Ihnen eine traurige Mitteilung machen. Marit Kaspersen ist gestern Abend bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Unser herzliches Beileid.« Patrik Hedström räusperte sich erneut und wich dem Blick der beiden aus. Das ziehende Gefühl in Sofies Magen verstärkte sich. Nur mit Mühe nahm sie auf, was sie ebengehört hatte. Sie mussten sich geirrt haben! Mama konnte nicht tot sein. Das ging einfach nicht. Sie wollten doch am Wochenende zum Shoppen nach Uddevalla fahren. Nur sie beide. So hatten sie es verabredet. Mama redete schon seit Ewigkeiten davon. Nur Mutter und Tochter. Sofie hatte so getan, als hätte sie keine Lust. Dabei freute sie sich in Wirklichkeit darauf. Was, wenn Mama das nicht kapiert hatte? Dass sie sich eigentlich freute? Wirre Gedanken rasten ihr durch den Kopf. Neben sich hörte sie ihren Vater nach Luft schnappen.
»Das muss ein Irrtum sein.« Olas Worte klangen wie ein Echo von Sofies Gedanken. »Sie müssen sich irren. Marit kann nicht tot sein!« Er keuchte wie nach einem Sprint.
»Bedauerlicherweise sind wir uns vollkommen sicher.« Nach einer kurzen Pause fuhr Patrik fort: »Ich habe sie selbst identifiziert.«
»Aber, aber …« Ola rang hilflos nach Worten. Sofie betrachtete ihn verwundert. Seit sie denken konnte, lagen ihre Eltern im Clinch. Nie hätte sie sich vorstellen können, dass ein Teil ihres Vaters immer noch an ihrer Mutter hing.
»Was … was ist denn passiert?«, stammelte Ola.
»Ein Verkehrsunfall, aber es war kein weiteres Fahrzeug beteiligt. Nördlich von Sannäs ist es passiert.«
»Kein anderes Fahrzeug? Was soll das heißen?«, mischte sich Sofie ein. Krampfhaft umklammerte sie die Tischkante, das Einzige, was ihr momentan einen Halt in der Wirklichkeit bot.
»Musste sie einem Reh ausweichen? Mama ist doch höchstens zweimal im Jahr Auto gefahren. Wieso war sie gestern Abend überhaupt unterwegs?« Mit wild klopfendem Herzen sah sie den beiden Polizisten direkt ins Gesicht. An der Art, wie die beiden den Blick senkten, war zu erkennen, dass sie etwas verschwiegen hatten. Was konnte es sein?
»Wirglauben, dass Alkohol im Spiel war. Möglicherweise Trunkenheit am Steuer. Aber wir warten noch auf das Ergebnis der gerichtsmedizinischen Untersuchung.« Patrik Hedström sah ihr in die Augen. Sofie traute ihren Ohren nicht. Nach einem Seitenblick zu ihrem Vater wendete sie sich wieder Patrik Hedström zu.
»Machen Sie Witze? Das muss ein Irrtum sein. Mama hat keinen Tropfen getrunken. Nie. Ich habe sie in meinem ganzen Leben kein einziges Glas Wein trinken sehen. Sie war total gegen Alkohol. Los, sag es ihnen!« In Sofie erwachte eine verzweifelte Hoffnung. Es konnte nicht ihre Mutter sein. Unmöglich. Erwartungsvoll sah sie ihren Vater an. Er räusperte sich.
»Das stimmt. Marit trank nie Alkohol. Während unserer Ehe nicht und, soviel ich weiß, auch danach nicht.«
Sofie suchte in seinem Gesicht nach einem Zeichen, dass er dieselbe Hoffnung verspürte wie sie, aber er wich ihrem Blick aus. Er sagte die richtigen Worte, die ihrer Meinung nach bestätigten, dass es sich nicht um Marit handeln konnte, aber irgendetwas an ihm kam ihr so … falsch vor. Sie schüttelte das unangenehme Gefühl ab und wendete sich an Patrik und Martin.
»Sie hören doch, es muss ein Irrtum vorliegen. Das kann nicht
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