Die Totgesagten
Mama sein! Haben Sie schon bei Kerstin nach ihr gefragt? Vielleicht ist sie zu Hause.«
Die Polizisten sahen sich an. Der Rothaarige ergriff das Wort. »Wir waren bei Kerstin. Offenbar haben Marit und sie gestern Abend gestritten. Deine Mutter hat wutentbrannt die Wohnung verlassen und den Autoschlüssel mitgenommen. Seitdem war sie verschwunden. Und …«
»Und ich bin ganz sicher, dass es sich um Marit handelt«, fügte Patrik hinzu. »Ich habe sie oft gesehen, unter anderem in ihrem Laden. Ich habe sie sofort erkannt. Allerdings wissen wir nicht, ob sie tatsächlich betrunken war. Wir sind nur auf Grund des starken Alkoholgeruchs im Wagen zu dieser Annahme gekommen. Es ist also nicht ausgeschlossen,dass es eine andere Erklärung gibt. Aber es besteht kein Zweifel an der Tatsache, dass es sich um deine Mutter handelt. Es tut mir leid.«
Nun war der Kloß in ihrem Magen wieder da. Er wuchs und wuchs, bis die Galle ihre Speiseröhre hinaufstieg. Nun kamen auch die Tränen. Sie spürte die Hand ihres Vaters auf der Schulter und schüttelte sie schroff ab. Zu viel stand zwischen ihnen. So viel Streit, vor und auch nach der Scheidung, so viel böse Worte, so viel Hass. Das alles verknotete sich in ihrer Trauer zu einem festen Klumpen. Sie konnte es nicht mehr mit anhören. Drei Augenpaare folgten ihr, als sie aus der Küche flüchtete.
Vor dem Küchenfenster waren vereinzelte gedämpfte Lacher zu hören, bis die Haustür aufging und das Gelächter durchs ganze Haus tönte. Erica konnte kaum glauben, was sie sah. Anna lachte. Nicht so gezwungen und pflichtbewusst, wie sie es manchmal vor den Kindern getan hatte. Nein, dieses Lachen war echt. Anna strahlte übers ganze Gesicht. Dan und sie waren vollkommen in ihr Gespräch vertieft. Der flotte Spaziergang im herrlichen Frühlingswetter hatte ihre Wangen gerötet.
»Hallo, war es schön draußen?«, fragte Erica vorsichtig aus der Küche.
»Ja, wahnsinnig schön.« Anna lächelte Dan an. »Es hat richtig gutgetan, sich ein bisschen die Beine zu vertreten. Wir sind bis nach Bräcke gegangen. Das Wetter ist so himmlisch, die Bäume haben schon kleine Knospen, und …« Anna musste innehalten, um Luft zu holen. Sie war immer noch ganz außer Atem von ihrem flotten Spaziergang.
»Und es war richtig nett«, fügte Dan hinzu, während er seine Jacke auszog. »Ist der Kaffee für uns, oder erwartest du Gäste?«
»Sei nicht albern, natürlich dachte ich, dass wir drei zusammen Kaffee trinken. Falls du noch … kannst?« Sie warfAnna einen besorgten Blick zu. Wenn sie mit ihrer Schwester sprach, hatte sie noch immer das Gefühl, sich auf eine dünne Eisdecke zu begeben. Sie hatte Angst, sie könnte die fröhliche Seifenblase zum Platzen bringen, in der sich Anna befand.
»So gut ging es mir schon lange nicht mehr.« Anna setzte sich an den Küchentisch. Sie nahm den Kaffee, den Erica ihr reichte, goss Milch hinein und wärmte sich die Hände an der Tasse. »Genau das hatte mir der Arzt geraten.« Die roten Flecke auf den Wangen ließen ihr Gesicht leuchten. Beim Anblick von Annas Lächeln ging Erica das Herz auf. So lange schon hatte ihre Schwester diesen kraftlosen und niedergeschlagenen Ausdruck in den Augen gehabt. Erica warf Dan einen dankbaren Blick zu. Bis eben war sie nicht sicher gewesen, ob es richtig war, ihn um Hilfe zu bitten. Doch eine leise Ahnung hatte ihr gesagt, wenn überhaupt jemand zu ihr durchdringen könnte, dann er. Erica hatte es selbst monatelang versucht, bis sie endlich einsah, dass sie den Panzer ihrer Schwester nicht knacken konnte.
»Dan hat mich gefragt, wie ihr mit den Vorbereitungen für eure Hochzeit vorankommt, aber ich musste zugeben, dass ich es nicht weiß. Du hast bestimmt davon erzählt, aber ich war leider nicht richtig aufnahmefähig. Also, wie weit seid ihr? Steht die Planung?« Anna trank noch einen Schluck und blickte Erica neugierig an.
Sie sah auf einmal so jung aus, so unversehrt. Wie vor Lucas. Erica schob den Gedanken an ihn entschieden beiseite. Sie hatte jetzt keine Lust, an diesen Widerling zu denken.
»Mit allem, was man planen kann, liegen wir gut in der Zeit. Die Kirche steht, das Stora Hotel hat seine Anzahlung bekommen und … Tja, mehr haben wir eigentlich noch nicht organisiert.«
»Ach du Scheiße, aber die Hochzeit ist doch schon in sechs Wochen! Was für ein Kleid willst du anziehen? Wie soll dein Brautstrauß aussehen? Habt ihr mit dem Stora Hoteldas Menü besprochen? Habt ihr schon Zimmer für die Gäste
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