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Die Totgesagten

Titel: Die Totgesagten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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aus irgendeinem Grund seine innere Leere nicht los. In den vergangenen Jahren war er ständig auf der Suche nach etwas gewesen, was diese Leere endlich füllen könnte. Mehr Champagner, mehr Party, mehr Bräute, mehr Pulver in der Nase, mehr von allem. Immer mehr. Er verschleuderte immer mehr Geld. Eigenes verdiente er nicht, er bekam alles von seinem Vater. Die ganze Zeit dachte er, dass doch irgendwann Schluss sein musste – aber das Geld floss weiter. Sein Vater bezahlte eine Rechnung nach der anderen, kaufte die Wohnung in Östermalm, ohne mit der Wimper zu zucken, fand das Mädel ab, das sich diese absurde Geschichte mit der Vergewaltigung aus den Fingern gesaugt hatte. Sie war freiwillig mit ihm und Ludde nach Hause gegangen, und was das bedeutete, war doch klar. Geheimnisvollerweise wur desein Portemonnaie nie leer. Es schien keine Grenzen und keine Forderungen zu geben. Calle wusste auch, warum. Er wusste, warum sein Vater niemals nein sagen würde. Sein schlechtes Gewissen zwang ihn, immer weiter zu bezahlen. Er schüttete sein Geld in das Loch in Calles Brust, wo es versickerte, ohne den Hohlraum je zu füllen.
    Beide versuchten auf ihre Weise, mit Geld zu ersetzen, was sie verloren hatten. Sein Vater blechte, Calle sackte ein. Und warf das Geld zum Fenster hinaus.
    Als die Erinnerungen hochkamen, wuchs der Schmerz in seiner Brust. Calle ging immer schneller, pushte sich selbst, um den Schmerz zu unterdrücken. Aber den Erinnerungen konnte er nicht entkommen. Nur eine Mischung aus Champagner und Kokain konnte sie dämpfen. Beides war hier nicht zu kriegen. Er beschleunigte nochmals seine Schritte.
    Gösta seufzte. Mit jedem Jahr wurde es schwieriger, sich zu motivieren. Morgens zur Arbeit zu gehen erforderte mehr Energie, als er besaß. Etwas Vernünftiges zustande zu bringen war nahezu unmöglich. Als hingen unsichtbare Gewichte an ihm. Er konnte sich zu nichts aufraffen und quälte sich tagelang mit den simpelsten Aufgaben herum. Wie es so gekommen war, verstand er selbst nicht. Irgendwie hatte sich die Müdigkeit mit den Jahren eingeschlichen. Seit Majbritts Tod fraß ihn die Einsamkeit von innen auf und raubte ihm das letzte bisschen Tatkraft. Fleißig war er nie gewesen, das musste er selbst zugeben, aber er hatte immerhin seine Pflicht erfüllt und hin und wieder sogar eine gewisse Befriedigung dabei empfunden. Nun stellte er sich immer öfter die Frage, wozu das alles gut war. Er hatte keine Kinder, denen er etwas hätte hinterlassen können. Ihr einziges Kind, ein Junge, war kurz nach der Geburt gestorben. Niemand wartete abends auf ihn, am Wochenende hatte er nichts zu tun, abgesehen vom Golfspielen. Golf war für ihn kein Hobby mehr, es warsein Leben. Am liebsten hätte er rund um die Uhr gespielt. Aber davon ließ sich die Miete nicht bezahlen, und so musste er weiterarbeiten, bis ihn die Pensionierung erlöste. Er zählte bereits die Tage.
    Gösta starrte auf den Bildschirm. Da sie aus Sicherheitsgründen keine Internetverbindung haben durften, musste er die Namen zu den Adressen herausfinden, indem er den Hörer in die Hand nahm und bei der Auskunft anrief. Nach einem kurzen Telefonat hatte er den Eigentümer des Hauses ausfindig gemacht, zu dem die Mülltonne gehörte. Er seufzte. Das Ganze war vollkommen sinnlos. Seine Skepsis wuchs, als man ihm eine Telefonnummer in Göteborg nannte. Es war offensichtlich, dass diese Leute nichts mit dem Mord zu tun hatten. Sie hatten einfach das Pech gehabt, dass der Mörder sich ausgerechnet ihre Tonne als Endstation für das arme Kind ausgesucht hatte.
    Seine Gedanken wanderten zu dem Mädchen. Göstas mangelnde Motivation hatte nichts mit einem Mangel an Mitgefühl zu tun. Er litt wie immer mit dem Opfer und seinen Angehörigen. Gott sei Dank hatte er die Leiche nicht sehen müssen. Martin war immer noch blass gewesen, als er ihm im Korridor begegnete.
    Gösta hatte genug Leichen gesehen. Und nach vierzig Berufsjahren konnte er sich noch immer an jede Einzelne erinnern. Hauptsächlich hatte es sich um Unfälle und Selbstmorde gehandelt, Morde waren die Ausnahme geblieben. Doch jeder Todesfall hatte eine Kerbe in seinem Gedächtnis hinterlassen, seine Erinnerungen waren so klar und scharf wie Fotografien. Oftmals hatte er es übernommen, die Angehörigen über den Todesfall zu informieren. Er hatte viele Tränen zu sehen bekommen, oft Verzweiflung, Schock oder Entsetzen. Vielleicht war er so erschöpft, weil das Unglück ihn mittlerweile bis zum Rand

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