Die Totgesagten
einen Unfall gehalten. Aber die Ergebnisse der Spurensicherung und der Obduktion haben uns eines Besseren belehrt. Man hat sie gefesselt, dann hat man ihr irgendeinen Gegenstand in den Rachen geschoben und ihr Unmengen von Alkohol eingeflößt. Das war übrigens auch die Todesursache. Dann hat der Täter – vielleicht waren es auch mehrere – sie in ihr Auto gesetzt, damit es wie ein Unfall aussah. Mehr wissen wir im Grunde nicht. Wir haben uns auch nicht sonderlich bemüht, mehr herauszufinden, weil …« Patrik suchte nach Worten. »Na ja, weil wir in einem zweiten Fall ermitteln, der enorme mediale Aufmerksamkeit bekommt. Das hat unsere ganze Kraft gefordert und dazu geführt, dass wir unsere Prioritäten in einer Weise gesetzt haben, die ich im Nachhinein als sehr unglücklich bezeichnen möchte. Traurig, aber wahr. Wir müssen jetzt mit neuer Energie an die Sache herangehen und die verlorene Zeit aufholen.«
»Ich dachte, du hättest vielleicht eine …«, begann Martin.
Patrik fiel ihm ungeduldig ins Wort. »Ganz genau. Ich habe möglicherweise eine Verbindung gefunden, und der bin ich gestern nachgegangen.« Er drehte sich um und nahm einen Papierstapel von Mellbergs Schreibtisch.
»Ichwar gestern in Borås und habe mit Kommissar Jan Gradenius gesprochen. Vor zwei Jahren waren wir zusammen auf einer Konferenz in Halmstad. Damals hat er von einem Fall berichtet, bei dem er den Verdacht hatte, das Opfer sei umgebracht worden, ohne es jedoch beweisen zu können. Ich habe die Akte gelesen und …« Patrik machte eine Kunstpause. »… der Fall hat erschreckende Ähnlichkeit mit dem Tod von Marit Kaspersen. Auch damals hatte das Opfer große Mengen Alkohol im Körper, erstaunlicherweise sogar in der Lunge. Und das, obwohl das Opfer laut Aussage seiner Angehörigen keinen Tropfen Alkohol trank.«
»Hat man damals die gleichen Spuren gefunden?«, fragte Hanna mit gerunzelter Stirn. »Ich meine, blaue Flecke am Mund, Klebestreifen und so?«
Patrik kratzte sich frustriert am Kopf. »Das ist leider nicht bekannt. Man ist damals davon ausgegangen, dass Rasmus Olsson – so hieß das einunddreißigjährige Opfer – Selbstmord begangen hat, indem er sich eine Flasche Schnaps reinkippte und von einer Brücke sprang. Daher nahm man es mit der Untersuchung nicht so genau. Ich habe allerdings Fotos von der Obduktion gesehen und glaube, an den Handgelenken und am Mund blaue Flecke zu erkennen, aber ich bin nur ein Laie. Deswegen habe ich die Bilder auch an Pedersen geschickt. Nachdem ich die halbe Nacht über der Akte gebrütet habe, bin ich mir absolut sicher, dass es eine Verbindung gibt.«
»Du meinst also, dass derjenige, der vor ein paar Jahren diesen Mann aus Borås umgebracht hat, auch Marit Kaspersen aus Tanum auf dem Gewissen hat?« Gösta klang skeptisch. »Das erscheint mir etwas weit hergeholt. Gibt es denn eine Verbindung zwischen den Mordopfern?«
Patrik konnte Göstas Zweifel nachvollziehen, ärgerte sich aber trotzdem. Sein Bauchgefühl sagte ihm ganz deutlich, dass es einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen gab.
»Dasmüssen wir eben herausfinden. Lasst uns mal das wenige zusammentragen, was wir wissen. Vielleicht finden wir gemeinsam heraus, wie wir jetzt weiterarbeiten sollten.« Er wandte sich zum Flipchart und zog mit einem dicken Filzstift in der Mitte des Papiers eine senkrechte Linie. Ganz oben in die linke Spalte schrieb er »Marit«, in die rechte »Rasmus«.
»Was wissen wir über die Mordopfer? Oder vielmehr, was wissen wir über Marit? Die Angaben über Rasmus Olsson werde ich einfügen, weil ich als Einziger die Ermittlungsakte gelesen habe. Ihr kriegt aber von allem Kopien.«
»Dreiundvierzig Jahre alt, eine Lebensgefährtin, eine fünfzehnjährige Tochter, selbständig«, zählte Martin auf.
Patrik schrieb alles mit, was Martin sagte. Dann drehte er sich erwartungsvoll um.
»Antialkoholikerin.« Gösta sah einen Moment richtig munter aus.
Patrik zeigte nachdrücklich mit dem Stift auf ihn und schrieb in großen Buchstaben »Antialkoholikerin«. Dann fügte er hastig die entsprechenden Angaben in Rasmus’ Spalte ein: Einunddreißig, alleinstehend, keine Kinder, in Zoohandlung beschäftigt, Antialkoholiker.
»Interessant.« Mellberg verschränkte die Arme vor der Brust.
»Was noch?«
»Zu Marit? Geboren in Norwegen, geschieden, mit dem Exmann zerstritten, gewissenhaft …« Hanna breitete ratlos die Hände aus, als ihr nichts mehr einfiel. Patrik schrieb alles auf, was
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