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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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viel Geld hatte sie nicht. »Ziemlich mager, die Stute«, sagte sie, verzog das Gesicht und legte den Kopf schief. »Trägt sie mich überhaupt?«
    »Von Eurer Statur trägt sie drei, gute Frau«, gab der Wirt zurück. »Sie ist ein besonders edles Tier, das könnt Ihr mir glauben. Ein Ritter kam hier vorbei, verlor im Spiel und beglich mit ihr seine Zeche. Sie heißt Saphira und stammt aus dem Morgenland, wo der Ritter sie im Kampf erbeutet hat. Steigt auf. Versucht es.«
    Er sattelte und zäumte das Pferd und führte es nach draußen, wo es nervös zu tänzeln begann, als er Melisande hinaufhelfen wollte. Melisande forderte den Wirt auf zurückzutreten. Kaum hatte er sich ein paar Schritte entfernt, stand Saphira ruhig da, die Ohren aufmerksam nach hinten gelegt.
    »Braves Mädchen«, flüsterte Melisande und strich Saphira über den Hals. Sie hob einen Fuß in den Steigbügel und schwang sich in den Sattel. Noch immer stand die Stute still da. Melisande richtete sich auf, gab mit ihren Schenkeln leichten Druck, und schon ging Saphira im Schritt los. Als sie das Hoftor passiert hatten und die gerade Straße vor ihnen lag, gab Melisande ein wenig mehr Druck, und Saphira fiel in einen so sanften Trab, dass Melisande es kaum wahrnahm. Sie atmete tief ein, legte ein Bein zurück und gab mit dem anderen das Signal zum Galopp. Saphira stob davon wie ein Blatt im Sturm, und einen Moment fragte sich Melisande, wo ihr Vater und Rudger blieben, mit denen sie so oft ausgeritten war.
    Saphira schien durch die Gassen zu fliegen. Melisande staunte über ihren weichen Gang und ihre Schnelligkeit. Sie war zum Rennen geboren und reagierte dennoch auf jedes Signal ihrer Reiterin. Der Wirt hatte wahr gesprochen: Dieses Pferd war etwas Besonderes.
    Melisande parierte Saphira durch, und sie wechselte geschmeidig erst in den Trab und dann in den Schritt – gerade noch rechtzeitig, denn aus einer Gasse bog ein Karren mit Kürbissen in die Hauptstraße ein. Die Stadt erwachte langsam zum Leben. Wie leichtsinnig sie gewesen war! Es war lebensgefährlich, durch die Straßen zu galoppieren, selbst zu dieser frühen Stunde, doch auf Saphiras Rücken hatte Melisande für einen Augenblick alle Vorsicht und alle Sorgen vergessen. Sie wendete und ließ Saphira im Schritt zum Gasthof zurückkehren.
    Der Wirt konnte seine Erleichterung darüber, dass Ross und Reiterin unversehrt zurückkehrten, nicht verbergen. Er deutete eine leichte Verbeugung an. »Kein Zweifel, Saphira und Ihr passt gut zusammen. Sie hat Euch sofort als Herrin angenommen.«
    Melisande hob die Augenbrauen. »Ich nehme an, das war nicht bei jedem ihrer Reiter so, oder?«
    Der Wirt räusperte sich. »Ich will Euch nicht verschweigen, dass sie bisher jeden abgeworfen hat. Es mag daran liegen, dass Ihr eine Frau seid.«
    Melisande nickte stumm. Sie hatte richtig vermutet. Nicht umsonst hatte ihr Vater ihr nicht nur das Reiten beigebracht, sondern auch, dass man ein Pferd mit Respekt behandeln musste. »Ein Pferd macht nie etwas falsch«, hatte er ihr eingetrichtert. »Es ist immer der Reiter, der Fehler macht.« Offenbar hatte irgendein Mann diese Regel nicht beherzigt und Saphira so gequält, dass ihr nun jeder Mann als Bedrohung erschien.
    Melisande stieg ab und betrachtete Saphira genauer. Am Rücken fand sie einige Narben, die vom Kampf herrühren konnten, aber auch von einem Herrn, der geglaubt hatte, die Stute nur durch Gewalt beherrschen zu können. Sie wandte sich dem Wirt zu. »Ich danke Euch für Eure Offenheit. So will auch ich offen zu Euch sein. Ich kann Euch nur zwei Pfund Silber geben. Mehr führe ich nicht mit.«
    Der Wirt rümpfte die Nase. »Anscheinend will Gott, dass ich heute ein schlechtes Geschäft mache.«
    Von wegen, dachte Melisande. Ihr solltet froh sein, dass ich Saphira nehme. Bei Euch steht sie nur nutzlos im Stall herum und kostet Platz und Futter. Und ein Mann kommt wohl kaum als Käufer infrage!
    Er hielt ihr die Hand hin. »Ihr nehmt sie?«
    »Zwei Pfund Silber. Mit Sattelzeug.«
    Er seufzte, dann schlug er ein. »Ihr werdet es nicht bereuen.«
    »Dann ist es abgemacht. Ich werde Euch das Geld gleich geben.« Sie drückte dem Wirt die Zügel in die Hand.
    Er band das Tier an einem Balken fest und ging gemeinsam mit Melisande in die Schankstube. Die Gäste waren inzwischen aufgewacht und machten sich für die Weiterreise fertig. Einige saßen an den Tischen und nahmen ein einfaches Frühmahl ein, andere schnürten gerade ihr Bündel oder streiften

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