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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Leinens ein so treuer Kunde war. Trotzdem hätte sie gedacht, dass Schedel ihre Aussage zumindest überprüfen lassen würde. »Herr!«, rief sie. »Ihr müsst meine Worte nachprüfen. Es gibt Dokumente. Sie liegen sicher verwahrt bei einem Rastherrn in Hamburg.«
    Schedel schmunzelte. »So, muss ich das? Dann werde ich es tun. Das Gesetz gibt mir die Möglichkeit, deine Aussage hier an Ort und Stelle zu überprüfen. Mit Hilfe von Meister Ekarius.«
    Melisande biss sich auf die Lippe, um nicht vor Angst zu schreien. Hatte sie sich in Schedel getäuscht? Nein, ihre Geschichte war einfach zu abwegig. Und sie erklärte nicht, was sie mit dem Messer in der Hand an der Wiege gewollt hatte. Sie hatte sich selbst in diese unmögliche Lage hineinmanövriert.
    Ekarius trat an sie heran, schlitzte ihr den Ärmel auf, stutzte einen Moment, als er ihren Arm sah, ging aber dann zum Kohlebecken und nahm die Zange heraus.
    »Nein!«, schrie Melisande. »Das könnt Ihr nicht machen. Hört auf!«
    Aber Ekarius zögerte nicht und schlug ihr die Zange ins Fleisch. Wieder schrie sie. Es zischte, der Geruch ihres eigenen verbrannten Fleisches stieg ihr in die Nase. So musste es sein, wenn man bei lebendigem Leib verbrannte. Der Raum begann sich zu drehen. Alles verschwamm ihr vor den Augen. Kaum bekam sie mit, wie sie getragen, wie Wasser über sie gegossen wurde.
    Wie aus einem dichten Nebel hörte Melisande überraschte Ausrufe und aufgeregte Stimmen. Dann verlor sie endgültig das Bewusstsein.
***
    Othilia beugte sich über das Bettchen, in dem das Kind lag und friedlich schlief. Behutsam fuhr sie ihm mit dem Finger über die Wange. Das Mädchen verzog im Schlaf das Gesicht, doch es wachte nicht auf. Zufrieden richtete sich Othilia auf. Alles lief nach Plan. Dieser von Säckingen war ein echter Teufelskerl, das musste sie ihm lassen. Mitten aus der vor Leben berstenden Stadt hatte er ein kleines Mädchen entführt und es unerkannt auf die Adlerburg geschafft. Zur Belohnung hatte sie ihm einen anständigen Batzen Silber überreicht und ihn in der letzten Nacht in ihr Bett gelassen. Doch weder sie noch er hatten rechte Freude an den Wonnen des Fleisches gehabt. Er hatte sich damit entschuldigt, dass er müde von der anstrengenden Reise sei – schließlich hatte er die Straßen meiden müssen mit seiner delikaten Fracht. Doch Othilia fürchtete, dass es eher daran lag, dass er mit seinen Gedanken woanders war. Bei ihr .
    Othilia verzog den Mund. Sollte er nur ohne Unterlass an diese Melisande denken, solange er ihre Befehle nicht missachtete. Sie würde ihn im Auge behalten, denn sie war sich alles andere als sicher, ob er ihr noch folgen würde, wenn er erfuhr, wie die Einzelheiten ihres Plans aussahen. Je länger er ahnungslos blieb, desto besser.
    Sie seufzte. Keinem der Männer an ihrer Seite konnte sie trauen. Wenn es hart auf hart kam, war sie auf sich allein gestellt. Zu dumm, dass von Säckingens Leute die Metze aus den Augen verloren hatten. Wie kleine Jungen hatten sie sich von ihr an der Nase herumführen lassen. Keiner wusste, wo sie steckte. Was für eine glückliche Fügung allerdings, dass Melisande Wilhelmis im ganzen Land wegen der Entführung gesucht wurde! Dass man ausgerechnet die Mutter des Kindes für die Entführerin halten würde, hatte Othilia nicht erwartet, aber es kam ihr mehr als gelegen, denn es bedeutete, dass das Miststück sich verstecken musste und nirgendwo auf Hilfe zählen konnte. Melisande Wilhelmis war ihr ganz und gar ausgeliefert, in aller Ruhe konnte sie die Schlinge zuziehen, die um den Hals dieser Teufelin lag.
    Wieder beugte sich Othilia über die schlafende Gertrud. Wirklich ein süßes Balg, dachte sie und strich ihr mit dem Zeigerfinger über den Kopf. Wie es Melisande wohl gefallen würde, wenn ihre Tochter mit nur einem Arm auskommen musste? Oder wenn ihr die Nase fehlte?
    »Süße kleine Stupsnase«, flüsterte sie und zog ihren Dolch.
    Im selben Moment klopfte es. Sie ließ die Waffe unter ihrem Gewand verschwinden und eilte zur Tür. »Wer da?«
    »Euer untertänigster Diener und Beichtvater Alberto Fussili bittet um Einlass.«
    Othilia atmete tief ein. Fussili! Er war wirklich ein ungewöhnlicher Mensch. Was mochte er nur für ein Geheimnis mit sich herumtragen? Dass er eines hatte, stand außer Zweifel. Er redete ungefragt nicht viel, gab nichts von sich preis, aber er war ein Meister darin, andere zum Reden zu bringen. Mehr als einmal hatte Othilia das Gefühl beschlichen, dass er

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