Die Tränen der Henkerin
wieder gesund ist.«
»Ich danke dem Herrn für seine Gnade und gelobe Besserung.«
Fussili zeichnete ihr mit dem Daumen ein Kreuz auf die Stirn, während er die Formel der Absolution murmelte.
Dann erhoben sich beide.
»Geht es Euch gut?«, fragte der Geistliche. »Ihr wirkt so abwesend, als läge eine schwere Last auf Eurer Seele.«
Othilia lächelte. »Lieber Fussili, ich danke Euch für Eure Fürsorge. Aber seid versichert, so gut wie jetzt ging es mir schon lange nicht mehr.«
Fussili blickte sie noch einen Moment an, als wolle er den Wert ihrer Worte abschätzen, dann verneigte er sich und verließ die Kapelle.
Othilia folgte ihm nachdenklich. Als sie den Palas betrat, rief eine Magd ihr aufgeregt zu: »Eben war ein Bursche aus Esslingen da, der dringend den Ritter Eberhard von Säckingen zu sprechen wünschte. Er schien sehr aufgeregt zu sein.«
»Wo ist er?«
»Der Bursche ist schon wieder fort, Herrin, jetzt ist es der Ritter, der Euch dringend zu sprechen wünscht. Er ist im großen Saal.«
Othilia raffte ihr Gewand und eilte los. Sie musste sich beherrschen, um nicht zu rennen. Sie erwartete keinerlei Nachricht aus Esslingen. Um was auch immer es gehen mochte, es konnte nichts Gutes sein. Sie stürmte in den Saal und erkannte augenblicklich an von Säckingens starrem, bleichem Gesicht, dass die Neuigkeiten wahrhaft grauenvoll sein mussten.
***
Wendel kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Schneller als erwartet hatte sich die Dunkelheit über die Landschaft gesenkt. Am Morgen hatten sie die Furt bei Aichaha passiert und waren der Landstraße in Richtung Esslingen gefolgt. Immer wieder waren heftige Schauer auf sie niedergeprasselt, und erneut waren sie nur langsam vorangekommen, weil die Mähre bockte, wo sie nur konnte. Der vom Regen aufgeweichte Boden tat ein Übriges, um ihnen das Vorankommen zu erschweren, und zu allem Überfluss war es kalt geworden. Die Regentropfen waren eisig gewesen, und Wendel schmeckte bereits den ersten Schnee in der Luft. Inständig hatte er gebetet, dass der Winter nicht vorzeitig ausbrechen möge. Wenn die Straßen einschneiten, würden sie noch Tage bis Esslingen brauchen, falls sie überhaupt dort ankamen.
Vor etwa einer Stunde hatten sie einen finsteren Hohlweg passiert. Augenblicklich hatten sich die Härchen in Wendels Nacken aufgestellt, als sie durch die Schlucht ritten. Es hatte sich angefühlt, als lauere irgendwo zwischen den Felsen über ihnen eine dunkle Macht. Vermutlich waren es die Seelen der Toten, die keinen Frieden fanden. Derer gab es hier bestimmt viele, denn der Ort war wie geschaffen für einen Hinterhalt.
Wendel hatte erleichtert Luft ausgestoßen, als sie den Hohlweg endlich hinter sich ließen, und Antonius hatte ihn seltsam von der Seite angesehen. »Ihr wisst, Herr, dass hier die Familie Wilhelmis gemeuchelt wurde?«
»Hier?« Wendel blickte sich um, warf einen letzten Blick auf die finstere Schlucht. »Ist das wahr?«
»Ja, Herr. Man erzählt, dass die Mörder die Frau und ihre zwei Töchter einen Abhang hinaufjagten, dass sie sich an ihnen vergingen, bevor sie ihnen den Garaus machten.« Er biss sich auf die Lippe, als er Wendels entsetztes Gesicht sah. »Verzeiht, Herr.« Er senkte den Kopf. »Ich wollte Euch nicht quälen. Wenn Eure Gemahlin die Wahrheit spricht und tatsächlich Melisande Wilhelmis ist, die dieses Grauen irgendwie überlebt hat, dann hat sie in die schlimmsten Abgründe der Hölle geblickt.«
Wendel wandte sich ab. Erst jetzt begriff er die Tragweite des Leids, das Melisande durchlebt hatte. Wenigstens wusste er, dass Melisande an diesem Tag nicht entehrt worden war, denn sie war bei ihrer Hochzeit noch unschuldig gewesen. Er drückte der alten Stute seine Oberschenkel in die Seite. »Lass uns machen, dass wir weiterkommen«, sagte er mit gebrochener Stimme. »Dieser Ort drückt mir aufs Gemüt.«
Schweigend waren sie weitergeritten. Frierend und hungrig erreichten sie mit dem letzten Licht des Tages den Lagerplatz bei der Berkheimer Steige. Bis Esslingen würden sie es heute nicht schaffen, doch es war nicht mehr weit.
Einige Wetterfeste hatten es geschafft, trotz des Regens ein Feuer in Gang zu bringen. Wendel und Antonius banden ihre Pferde an, sammelten Holz und legten es auf den ansehnlichen Stapel, der bereitlag, damit die Flammen nicht erloschen. Dann traten sie ans Feuer. Die Menschen rückten zusammen, sie ließen sich nieder und genossen die Wärme.
Wendel schaute sich um und musste trotz
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