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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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seiner Sorgen lächeln. Genau wie er dampften die anderen Menschen. Keiner von ihnen hatte die nassen Kleider abgelegt, um sie zu trocknen, denn das war gefährlich. Zu schnell wurde ein Wams Opfer der Flammen. Gemurmel lief um das Feuer herum, mal leiser, mal lauter, manchmal schwelte sogar Lachen auf, und Wendel schienen die Flammen in solchen Momenten plötzlich heller zu brennen. Die Reisenden hatten allerhand zu erzählen, die Geschichte von der rothaarigen Kindsräuberin war nicht darunter, und so entspannte sich Wendel langsam und genoss die Gesellschaft.
    Antonius saß mit gesenktem Kopf neben ihm. Wendel sah ihn von der Seite an. Eine Frage quälte ihn noch, die er seinem Leibwächter unbedingt stellen musste, und zwar bevor sie in Esslingen ankamen. Bisher hatte er sich gescheut, dieses Thema anzuschneiden, hatte stattdessen die Zweisamkeit mit Antonius genossen, fast wie in alten Tagen. Doch nun war es an der Zeit, sich der Wahrheit zu stellen. »Antonius, mein Freund …« Wendel stieß ihn sanft in die Seite. »Komm mit mir, es gibt etwas, das ich dich fragen muss.«
    Antonius erhob sich und folgte ihm wortlos auf eine kleine Lichtung, die etwas abseits des Lagerplatzes lag. »Was begehrt Ihr zu wissen, Herr?«
    »Du musst mir sagen, was mein Vater geplant hatte. Ich kenne ihn gut, denn ich bin ebenso wie er: Wenn ich ein Ziel erreichen will, dann sind mir alle Mittel recht. Sein Ziel war, Melissa – Melisande – aus meinem Leben zu entfernen, dessen bin ich sicher. Welchen Plan verfolgte er? Ich bitte dich, mir alles zu sagen, was du weißt. Egal, was es ist. Ich werde dir nichts übel nehmen, wenn du es mir jetzt erzählst.«
    Antonius knetete seine Finger, blickte Wendel in die Augen, dann wieder zu Boden. »Er … er wollte Melissa entführen und nach Augsburg bringen lassen«, begann er schließlich.
    Wendel stieß einen entsetzten Laut aus, doch er bedeutete Antonius weiterzusprechen.
    »Er hat dafür einen Wagen bauen lassen, mit doppeltem Boden. In Augsburg sollte sie dann für den Mord an dem echten Merten de Willms vor Gericht gestellt werden. Ihr müsst wissen: Euer Vater ist sicher, dass sie ihn getötet hat oder zumindest als Komplizin mitschuldig ist. Euch wollte er in dem Glauben lassen, dass sie von sich aus weggelaufen sei. Zumindest so lange, bis ihre Schuld durch ein Geständnis erwiesen sein würde.«
    Wendel hatte mit vielem gerechnet, dennoch traute er seinen Ohren nicht. Melissa entführen, sie der Folter und dem Scharfrichter zuführen und ihn glauben lassen, dass sie von selbst verschwunden sei? Was für ein grausamer Plan! Wendel schluckte. Sein Vater war im Grunde seines Herzens ein anständiger Mensch, aufbrausend zwar, aber zugleich gütig und gerecht. Wenn er zu solch drastischen Maßnahmen griff, bedeutete das nur eins: Er glaubte tatsächlich, dass er seinen Sohn beschützen musste. Es war nicht einfach der Hass auf die Frau, die ihm angeblich den Sohn genommen hatte.
    Wendel seufzte. »Und du, mein Freund, was glaubst du? Ist Melissa eine Hexe, eine Mörderin, eine Kindsentführerin?«
    »Herr«, flüsterte Antonius. »Verzeiht mir. Ich weiß es nicht. Aber glaubt mir: Wie ich es bei meiner Seele geschworen habe, werde ich Euch und die Eurigen mit meinem Leben beschützen. Das gilt auch für Euer Weib. Was immer es getan haben mag.«
    Wendel nahm die Hände des Leibwächters in die seinen. »Ich glaube dir, Antonius, und ich danke dir für deine Ehrlichkeit.«
    Ein Knacken im Unterholz ließ beide zusammenfahren. Schneller als Wendel schauen konnte, riss Antonius das Schwert aus der Scheide, versetzte Wendel einen Stoß und fuhr herum. Wendel taumelte zur Seite, drehte sich ebenfalls um und erstarrte.
***
    Melisande schrie auf. Sie hatte geträumt, dass Wendel versuchte, sie zu retten, doch eine ganze Armee Ritter stellte sich ihm in den Weg. Er wankte unsicher, von vielen Wunden entkräftet, doch er gab nicht auf, taumelte weiter, schwenkte das Schwert, von dessen Klinge das Blut Dutzender Gegner tropfte. Plötzlich stellte sich ihm ein Widersacher in den Weg, der stärker und furchtloser war als alle, die Wendel bisher besiegt hatte. Er schwang die Waffe über dem Kopf, dann ließ er sie auf Wendel niedersausen.
    Wieder schrie Melisande, und diesmal wachte sie auf. »Nur ein Traum«, sagte sie sich. »Nur ein Traum. Wendel ist nicht in Gefahr.« Dann wurde ihr bewusst, wo sie war. Sie blickte auf ihren Arm, der mit einem Stück Leinen verbunden war. Die Wunde brannte

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