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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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nicht auf der Adlerburg war, um ihr beizustehen, sondern um sie auszuspionieren. Daher erzählte sie ihm nur, was er wissen durfte. Und dazu gehörte beileibe nicht, dass sie ein Kind beherbergte, das einer Familie aus Rottweil geraubt worden war. »Erwartet mich in der Kapelle!«, rief sie durch die Tür. »Heute ist der Tag des Herrn, und ich möchte beichten.«
    Sie wartete, bis seine Schritte sich entfernt hatten, dann öffnete sie eine andere Tür und winkte die alte Magd herbei, die sich um Gertrud kümmerte. Sie war außer von Säckingen als Einzige eingeweiht. Je weniger Menschen Bescheid wussten, desto besser. »Sorg dafür, dass sie keinen Lärm macht, wenn sie erwacht«, wies Othilia die Magd an. »Und lass niemanden außer mir in die Kammer.«
    Die Magd knickste. »Sehr wohl, Herrin.«
    Fussili wartete in einer kleinen Nische der Kapelle, die Hände gefaltet, den Blick auf sie gerichtet.
    Othilia bemühte sich, ihre Gedanken zu sammeln. Sie musste beichten, doch genau drauf achten, was sie ihm erzählte. Er wäre nicht der erste Mönch, der sein Wissen trotz Beichtgeheimnis in bare Münze oder einen anderen Vorteil umwandelte. Daher hatte sie mit Gott ein Abkommen getroffen: Sie beichtete bei Alberto Fussili und zusätzlich in Gedanken beim Herrgott persönlich. Mit den Worten »und vergib mir auch die Sünden, die ich in meiner Unvollkommenheit vergaß zu erwähnen« war ihr Gottes Absolution sicher. So waren alle zufrieden.
    Sie kniete vor ihrem Beichtvater nieder. Er nahm ihre Hände in seine, und sie begann die Beichtformel zu sprechen.
    »Gott, der unser Herz erleuchtet, schenke dir wahre Erkenntnis deiner Sünden und seiner Barmherzigkeit«, erwiderte Fussili ruhig.
    »Herr, vergib mir, denn ich habe gesündigt«, setzte Othilia ihre Beichte pflichtschuldig fort. »Ich konnte den Lockrufen des Fleisches nicht widerstehen und befleckte mich mit der Sünde der Lust.«
    Fussili holte tief Luft, doch er sagte nichts.
    Ob du widerstehen könntest, braver Gottesmann, fragte Othilia stumm, wenn ich dich in Versuchung führte? Zumindest seit er auf der Adlerburg weilte, hatte Fussili kein Weib auch nur unkeusch angesehen. Doch ihrer Erfahrung nach gab es keinen Mann, der nicht für die Verlockungen der Weiber anfällig war, wenn er entsprechend kunstvoll umgarnt wurde. »Herr, vergib mir, denn ich habe gesündigt«, sagte sie. »Ich habe eine Magd härter bestraft, als ihre Verfehlung es notwendig gemacht hat, nur um meinem Ärger Luft zu machen.«
    Das tat ihr wirklich leid. Das arme Ding hatte die Peitsche nicht gut vertragen und lag seitdem krank auf dem Lager, so fiel sie als Arbeitskraft aus. Sie ergänzte noch ein paar kleinere Verfehlungen, Völlerei in Form des Genusses von zu viel süßen Leckereien und das Werfen eines Kruges nach einem der Hunde ihres verstorbenen Gemahls. Die Tiere waren ihr lästig, doch da sie Ottmar gehört hatten, brachte sie es nicht übers Herz, sich ihrer zu entledigen. Sie litten darunter, dass sie nicht mehr ins Innere der Burg durften, sondern draußen an der Kette liegen mussten, und ließen sie das gelegentlich mit jämmerlichem Gejaule spüren.
    Rasch fügte sie in Gedanken die Sünden hinzu, die sie nicht laut aussprechen durfte. »Herr, ich habe gesündigt. Ich habe einer Frau das Kind entführen lassen und sie vor eine schreckliche Wahl gestellt. Sie kann das Kind nur retten, wenn sie im Gegenzug ihrem eigenen Gemahl den Kopf abschlägt. Herr im Himmel, verzeih mir in deiner Güte, denn du weißt auch, welches Leid mir diese Frau antat, denn so wie ich ihr das Kind raubte, raubte sie mir den geliebten Gemahl. ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹, heißt es nicht so in der Heiligen Schrift?«
    Laut sagte sie: »Ich bereue, dass ich Böses getan und Gutes unterlassen habe. Erbarme dich meiner, oh Herr.«
    Fussili kniete nun ebenfalls nieder. »Othilia von Hohenfels, Gräfin der Adlerburg und Witwe des Grafen de Bruce, wahrlich, du hast schwer gesündigt. So gebe ich dir folgende Buße auf, damit der Herr sich deiner erbarme: Sprich zehn Ave Maria, und verschließe deine Tür vor den Männern, die deine Lust erwecken, auf dass du in Zukunft den Verlockungen der Fleischeslust widerstehen mögest. Spende den Armen, die vor deiner Burg um Almosen bitten: Lass jedem von ihnen heute, am heiligen Sonntag, eine warme Suppe und einen Viertellaib Brot bringen. Der Herr sieht mit Freude, dass du dich um die Magd, die du zu hart bestraftest, sorgst, sodass sie sicherlich bald

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