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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Hand an sie legen konnte, sandte er seine Todesboten. Aber er hatte die Rechnung ohne Gott gemacht, der ihr einen Schutzengel geschickt hatte.
***
    Wendel musste sich zusammenreißen, um nicht zu zittern. Nicht, dass er Angst hatte, nein, die war ihm längst vergangen. Es war das Jagdfieber. Er brannte darauf, Melisande aus dem Kerker zu befreien, Gertrud zu finden und dann diejenigen zur Strecke zu bringen, die die Verantwortung für diese Schandtaten trugen. Nie in seinem Leben war er so entschlossen gewesen, jeden aus dem Weg zu räumen, der es wagte, sich zwischen ihn und seine Frau und seine Tochter zu stellen. Auch sein eigenes Leben würde er ohne Zögern geben, wenn er damit Melisande und Gertrud retten konnte. Sein schlechtes Gewissen nagte Tag für Tag an ihm. Hätte er Melisande nicht verstoßen, wäre all das nicht geschehen. Eine andere Stimme in ihm behauptete das Gegenteil: Du kannst das Schicksal nicht ändern. Hättest du sie nicht verstoßen, hätte sie vielleicht jemand hinterrücks ermordet.
    Das Heiligkreuztor kam in Sicht, die Pforte zur Pliensaubrücke, die erste Bewährungsprobe für ihre List. Die Wagen stauten sich, das Wetter war nach den Regentagen wieder sonnig, und aus allen Richtungen strebten die Menschen auf Esslingen zu, um ihre aufgeschobenen Geschäfte zu erledigen.
    Wendel ritt vor dem Wagen her, den sein Vater hatte bauen lassen, um Melisande dem Augsburger Henker auszuliefern. Jetzt würde er dazu dienen, sie zu retten. Auf dem Bock saßen Antonius und von Säckingen. Bei ihrem Anblick musste Wendel schmunzeln. Sie trugen abgerissene Gewänder, die sie als seine Knechte ausweisen sollten. Von Säckingen hatte alles Ritterliche verloren, kein Metall glänzte, kein Kettenhemd klirrte furchterregend, kein Schwert wies ihn als erfahrenen Kämpfer aus.
    Das Warten hatte sich auf jeden Fall gelohnt. Von außen war dem Wagen nicht anzusehen, dass er über einen doppelten Boden verfügte, der einen Menschen aufnehmen konnte. Auch die Ladefläche gab das Geheimnis des Verstecks nicht preis. Sie schien in einem Stück gearbeitet zu sein, obwohl es an einer Stelle einen Einstieg gab, der in den zweiten Laderaum führte. Man musste schon mit der Nase über den Boden schleifen, um ihn zu erkennen.
    Endlich kamen sie an die Reihe. Wendel zügelte sein Pferd vor der Wache und bedachte den grobschlächtigen Mann mit einem abschätzigen Blick. »Ich bin Meister Balduin von Trier.« Er wartete, doch der Mann reagierte nicht. Wendel beugte sich ein wenig zu dem Mann hinunter. »Du weißt wohl nicht, was für ein Geschäft mich nach Esslingen führt?«
    Der drohende Ton entging dem Wachmann nicht. »Nein, Herr, verzeiht, ich habe Euch noch nie gesehen, und ich weiß nichts von Euren Geschäften«, sagte er und neigte den Kopf unterwürfig.
    Sein edles Gewand beeindruckte den Mann sichtlich, dennoch musste Wendel vorsichtig sein und durfte den Bogen nicht überspannen. Er lachte auf. »Das glaube ich dir sofort. Na gut, ich will Gnade vor Recht ergehen lassen.« Mit einer ausholenden Bewegung zog er eine Pergamentrolle aus dem Wams und reichte sie dem verdutzten Wächter, der sie ergriff und das Siegel betrachtete. Wendel kreuzte die Finger. Das hatte er immer als kleiner Junge getan, wenn er etwas angestellt hatte und hoffte, seine Ausrede möge nicht durchschaut werden. Oft hatte es gewirkt. »Ich bringe wichtige Gerätschaften für das Schelkopfstor, für euren Thronsaal, so nennt ihr Esslinger doch den Folterkeller?«
    Der Wächter nickte, warf noch einen Blick auf das Siegel und gab Wendel die Rolle zurück. Er wiegte den Kopf. »Herr, verzeiht, aber ich muss nachschauen, was Ihr geladen habt …«
    »Nur zu, Mann«, sagte Wendel nicht unfreundlich. »Dazu bist du ja schließlich da. Das alles ist eine Gabe aus dem Folterkeller der Stadt Trier.« Er wendete das Pferd und deutete auf von Säckingen. »August, los, zeig dem Mann die Ladung!« Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte Wendel es genossen, von Säckingen herumzukommandieren.
    Der Ritter zögerte einen Wimpernschlag lang, dann aber spielte er seine Rolle ohne Fehl. Er verbeugte sich und sprang vom Bock, hob die Plane an, führte die Wache heran und verbeugte sich erneut.
    »Seht her!«, rief Wendel. »Balken, Eisendorne, Flaschenzüge. Alles, was man braucht, um einem Menschen die Zunge zu lockern. Funktioniert besser als der süßeste Wein.«
    Der Wächter warf einen Blick auf die Ladung und nickte Wendel zu. Von Säckingen

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