Die Tränen der Henkerin
Ihr seht, Hauptmann, ist es ein Schreiben des Trierer Rates an den Euren«, behauptete Wendel. »Wir sind ein wenig spät dran, die Ware wurde schon vor geraumer Zeit geordert, das Wetter wollte einfach nicht mitspielen. Aber jetzt sind wir wohlbehalten eingetroffen und würden gern unsere Fracht abladen, damit wir uns ausruhen und dann so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren können. Ich habe mein Weib seit vier Wochen nicht mehr gesehen, und lasst Euch sagen, sie ist eine Schönheit.« Während Wendel sprach, zeigte er mit dem Zeigefinger auf die eine oder andere Zeile, so schnell, dass der Hauptmann nicht folgen konnte, und kaum hatte er zu Ende gesprochen, nahm er die Rolle wieder an sich. »Wo soll der Kram hin? Ich hoffe, es sind nicht allzu viele Stufen hinab in Euren Kerker?«
Der Hauptmann blickte Wendel prüfend in die Augen. »Doch, doch. Sehr viele«, antwortete er schließlich. »Und sie sind mächtig steil.« Er kratzte sich am Kopf und grummelte etwas in seinen Bart, wovon Wendel nur den Namen Sempach verstehen konnte. Sempach! Dieser Bluthund, der ihm am liebsten bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen hätte! Der Verbrecher, der schuld daran war, dass Melisande im Kerker festsaß!
Der Hauptmann hob die Stimme. »Foltergeräte, sagt Ihr?«
Wendel nickte. »Aus einem unserer gastlichen Räume, in denen wir die Übeltäter zum Reden bringen.« Er hoffte inständig, dass auch bei diesem Mann wirken würde, was bei der Torwache gewirkt hatte. Die einfachen Leute waren letztlich alle gleich. Abergläubisch und dumm.
»Nun gut. Aber wir können Euch leider nicht beim Tragen helfen, wir müssen das Tor bewachen, das versteht Ihr doch sicherlich?«
»Aber selbstverständlich.« Wendel zog einen Schlauch Wein hervor, einen hervorragenden Falerner. »Zeigt mir die Kammer, dann werde ich alles überwachen und Ihr könnt Euch ganz Eurer Aufgabe widmen. Aber erst müsst Ihr mit mir einen Schluck trinken.« Er beugte sich zum Hauptmann und flüsterte ihm ins Ohr: »Keine Sorge. Ich habe nichts von alledem berührt, ich bin rein wie der erste Schnee im Winter.«
Der Hauptmann atmete erleichtert auf, und wie es sich gehörte, setzte Wendel den Schlauch zuerst an, um zu zeigen, dass nichts Übles in dem Wein war. Dann nahm der Hauptmann den Schlauch entgegen, trank und stöhnte lustvoll. »Bei allen Heiligen, das ist ein Tröpfchen! Den bekommt man nicht alle Tage zu kosten.« Er schlug Wendel auf die Schulter, ein deutliches Zeichen, dass er ihm jetzt bedingungslos vertraute. »Kommt, ich zeige Euch unseren Thronsaal.«
Säure stieg Wendel die Kehle hinauf, er musste sich einen Ruck geben, dann folgte er dem Hauptmann die steile Treppe hinunter und in den Raum, den er eigentlich nie wieder hatte betreten wollen. Der Geruch von verbranntem Fleisch hing in der Luft, im Kohlebecken leuchtete rote Glut, von irgendwo aus dem Gewölbe war ein Stöhnen zu hören. Fast wäre Wendel losgestürzt, um nachzusehen, ob es Melisande war, die da so gotterbärmlich litt.
Sie stiegen wieder nach oben. Alles war ruhig, das Feuer war offensichtlich noch nicht ausgebrochen. Wendel unterdrückte die Angst, die in seinen Eingeweiden festsaß und spielte weiter seine Rolle. »Los, Männer«, rief er. »Was hockt ihr da so faul auf dem Wagen, als hättet ihr nichts zu tun? Ab in den Kerker mit der Fracht! Wird’s bald? Oder soll ich euch als Zugabe hierlassen, damit sie die Geräte an euch ausprobieren können?«
Sofort begannen Antonius und von Säckingen, den Wagen abzuladen. Der Hauptmann gab einer der Wachen ein Zeichen, die sich sogleich an die Fersen der beiden heftete.
Wendel wandte sich an den Hauptmann. »Na, habt Ihr in Esslingen auch so viel Ärger mit fahrenden Händlern, die brave Bürger um ihr wohlverdientes Geld betrügen? Dieses Pack ist eine regelrechte Seuche, findet Ihr nicht?«
»Ganz meine Meinung«, stimmte der Hauptmann zu und ließ sich erneut den Weinschlauch reichen.
Es war nicht schwer, den Mann in ein Gespräch zu verwickeln. Die anderen Wachen gesellten sich zu ihnen, offenbar freuten sie sich über die Abwechslung. Antonius und von Säckingen schwitzten vor Anstrengung, aber niemand kontrollierte auch nur ein Stück, das sie nach unten trugen. Gerade schleppten sie die Kiste, in der die Waffen versteckt waren.
Wendel musste sich zwingen, nicht hinzusehen. Er schwitzte. Immer noch kein Alarm. Der Wagen war so gut wie leer, doch die Feuersbrunst ließ auf sich warten. Sobald das letzte
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