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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Stück hinuntergetragen war, würde das Tor wieder versperrt werden, und ihr Plan war gescheitert.
    Wendel fing einen Blick von Antonius auf. Er wusste sofort, was sein Freund sagen wollte: Wenn es kein Feuer gibt, müssen wir es mit allen Männern aufnehmen. Sollte es dazu kommen, musste Wendel als Erstes die Tür zur Wachstube von außen versperren, damit die Büttel nicht sofort eingreifen konnten. Nur so wäre es ihnen möglich, die Übermacht in Schach zu halten.
    Gerade als von Säckingen das letzte Stück aus dem Wagen hievte, erlösten die Glocken von St. Dionys Wendel. »Es brennt! Feuer in der Stadt!«, riefen sie über alle Dächer.
    Die Tür der Wachstube flog auf, die Büttel stürzten heraus, ohne nach rechts oder links zu schauen, denn wenn die Glocken Feueralarm gaben, mussten sich alle Bürger der Stadt ohne jeglichen Verzug an der Kirche versammeln, damit sie dort erfuhren, wo gelöscht werden musste.
    Der Hauptmann zeigte auf einen seiner Männer. »Du kommst mit mir.« Dann befahl er dem anderen: »Du bleibst hier und schließt das Tor, sobald der Wagen entladen ist!« Noch bevor Wendel etwas sagen konnte, rannten die beiden los. Ihre Lanzen hatten sie einfach auf den Boden geworfen.
    Wendel schlug das Herz bis in den Hals. Was, wenn tatsächlich die ganze Stadt niederbrannte? Wenn Kinder und Frauen ums Leben kamen? Doch für Zweifel war es zu spät. Gemeinsam mit Antonius und von Säckingen, die den letzten Balken trugen, rannte Wendel die Stufen zum Thronsaal hinunter. Der zweite Wachmann kam ihnen am Fuß der Treppe entgegen.
    »Feuer!«, rief Wendel. »Esslingen brennt. Du musst zu Hilfe eilen.«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich muss hierbleiben, bis ihr fertig und wieder draußen seid. Und dann muss ich oben Wache stehen. Das ist mein Befehl.«
    Antonius und von Säckingen brachten den Balken in den Thronsaal. Wendel blieb im Gang, und ebenso wie die Wache hörte er mit einem Mal das leise Klirren eines Schwertes. Er erstarrte.
    Der Wachmann blinzelte mit den Augen, dann begriff er und legte die Hand an seine Klinge. Im selben Augenblick stürzte Antonius auf den Gang, seine Waffe zum tödlichen Streich erhoben.
    Blitzschnell drehte der Wachmann sich um, griff Wendel am Wams und zerrte ihn zwischen sich und Antonius’ Klinge.
    Antonius musste zurückspringen, um Wendel nicht zu verletzen und verschaffte dem Wachmann damit genug Zeit, um ein paar Stufen hinaufzuhasten und seinen Kameraden zu Hilfe zu rufen. »Überfall!«, schrie er aus vollem Halse. »Zu Hilfe! Verräter im Verlies! Hol Verstärk …« Weiter kam der Mann nicht, denn im gleichen Augenblick spaltete Antonius ihm mit einem gewaltigen Hieb den Schädel. Wie ein Sack Getreide stürzte der Wachmann die Stufen hinunter und landete vor Wendels Füßen.
    Ohne zurückzublicken, sprang Antonius die Treppe weiter hoch. Er musste den zweiten Mann ausschalten, bevor dieser Verstärkung holen konnte. Wendel selbst machte einen Satz über den toten Wachmann, ließ sich von von Säckingen ein Schwert reichen und stürzte den Gang entlang zu dem Kerker, in dem er Melisande zu finden hoffte. Wenn Antonius den anderen Wachmann nicht aufhalten konnte, war alles vergebens gewesen. In diesem Fall wollte er zumindest gemeinsam mit seiner Liebsten in den Tod gehen.
***
    »Vierundvierzig.« Melisande drückte die Arme durch und stemmte ihren Körper nach oben. Noch fünfundzwanzig, dann waren es genug. Am Vorabend war sie trotz des Anschlags auf ihr Leben gut eingeschlafen. Die Übungen hatten sie so müde gemacht, dass die ständig kreisenden Gedanken zur Ruhe gekommen waren und sie sogar von Albträumen verschont geblieben war. Sie war noch einige Male ihre Fluchtpläne durchgegangen, und mit jeder Einzelheit, die sie sich überlegt hatte, war ihre Zuversicht gestiegen.
    »Du musst weitermachen«, sagte sie in die Dunkelheit. »Lass dich von den Geräuschen im vorderen Teil des Kerkers nicht beunruhigen. Niemand will etwas von dir. Zumindest im Augenblick nicht.« Gern hätte sie einen Blick nach draußen geworfen, doch der Gang vor dem Verlies machte schon nach wenigen Schritten einen Knick. Unmöglich, von hier aus etwas zu erkennen. Was ging da vor sich? Bereiteten die Büttel ein noch grausameres Foltergerät vor? Ihr Arm pochte, die Wunde hatte angefangen zu nässen, was kein gutes Zeichen war. Der Henker hatte sich nicht noch einmal die Mühe gemacht, sie zu versorgen.
    Wieder rasselte und klapperte es. Eine Stimme rief einen Befehl.

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