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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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ließ die Plane fallen und sprang zurück auf den Bock.
    Wendel hielt den Atem an, ritt los, der Wagen folgte ungehindert. Die erste Hürde war überwunden. Allein die Vorstellung, dass diese Gegenstände aus einem Folterkeller stammten, also von einem Henker angefasst worden waren, hatte genügt, dem Mann die Lust zu nehmen, die Ladung sorgsam zu prüfen, die letztlich aus nichts anderem als einigen Balken und Eisenstücken bestand, die mit Sicherheit keine zerlegten Foltergeräte waren.
    Unbehelligt passierten sie die Brücke über den Neckar und das Mühlentor. Beim Anblick der ersten Häuser in der Pliensau musste Wendel tief durchatmen. Jetzt war er in Esslingen, zurück in der Höhle des Löwen, an dem Ort, an dem er gestorben wäre, hätte Melchior … hätte Melisande ihn nicht gerettet. Was für ein schlechter Scherz des Schicksals, dass nun er es war, der sie aus dem Esslinger Kerker befreien musste! Schloss sich hier und heute der Kreis? Waren die Prüfungen damit abgeschlossen? Wendel schüttelte den Kopf. Nein, noch lange nicht. Er wusste immer noch nicht, wo Gertrud war. Und wer war der unsichtbare Feind, der versuchte, ihr Leben zu zerstören?
    Wendels Herz schlug rascher, aber nicht zu rasch. Gerade so, dass all seine Sinne geschärft waren. Stimmen drangen an sein Ohr, Alltägliches redeten die Leute, über die Abgaben, die ständig stiegen, über die Ernte, die in diesem Jahr gut ausfiel, und über die Ausbesserungen der Wehranlagen, die zwar Unsummen kosteten, aber unvermeidlich waren, da den Stuttgartern nicht zu trauen war.
    Der Geruch von verfaultem Fleisch und altem Urin drückte Wendel auf den Magen. Sie hatten inzwischen die Innere Brücke erreicht, an der die Gerber ihr Handwerk betrieben. Als sie das Brückentor passierten, wandte Wendel sich um. Antonius saß nicht mehr neben von Säckingen. So wie sie es abgesprochen hatten, war er in einem günstigen Moment mit den glühenden Kohlen abgesprungen.
    Wendel lenkte sein Pferd auf die Kirchgasse, die zum Schelkopfstor führte. Links erhoben sich die beiden Türme von St. Dionys, alles war genau so, wie es von Säckingen auf seiner Karte eingezeichnet hatte. Auch die Entfernungen stimmten und die Zeit, die sie benötigten.
    Wo blieb Antonius? War er aufgehalten worden? Schon kam das Schelkopfstor in Sicht. Dunkel erhob sich der quadratische Turm gute fünfzig Fuß in den Himmel. Seine Mauern waren mindestens sechs Fuß dick, an manchen Stellen noch dicker.
    Der Wagen knarrte, Wendel blickte sich um. Antonius war zurückgekehrt und hatte seinen Platz eingenommen, als wäre er nie weg gewesen. Er lächelte Wendel an, Wendel lächelte zurück. Das Feuer war gelegt, jetzt musste es nur noch im richtigen Moment ausbrechen – aber vorher mussten sie in die Unterwelt des Schelkopfstores gelangen. Ein kalter Schauer lief Wendel über den Rücken. Er saß ab und hielt auf das Tor zu, vor dem vier schwer bewaffnete Wachen standen und ihre Lanzen kreuzten, um ihm den Weg zu versperren. Er hob die Hände und lachte. »Werte Herren, ich habe nicht vor, das Tor zu stürmen. Es würde mir ja nichts nützen, denn es liegt innerhalb der Mauern, und sagt selbst: Steht der Feind bereits in der Stadt?« Wendel wartete einen Moment, die Männer sagten nichts, sondern hoben nur die Lanzen. »Seht ihr? Aber soll ich euch etwas verraten? Der Feind ist doch bereits in der Stadt.«
    Die Männer erschraken und griffen ihre Waffen fester.
    »Wein, Weib und Gesang!«, schrie Wendel und grölte vor Lachen, obwohl ihm nicht im Geringsten danach zumute war.
    Die Wachen stutzen, dann fielen sie mit ein. Wendel nutzte dies, um noch näher zu kommen und einen Blick in die Wachstube zu werfen. Er zählte fünf Büttel. Sie hatten es also mit neun Gegnern zu tun. Wenigstens war das Misstrauen der Wachen verflogen. Wer gemeinsam lachte, war Freund, nicht Feind.
    Wendel zog das Pergament hervor und trat an den Ranghöchsten heran, einen Hauptmann, der an einer Feder am Hut gut zu erkennen war. »Ich bin Balduin von Trier und habe eine Lieferung für den Thronsaal«, sagte er. »Habt Ihr so viele Gottlose, dass Eure Geräte verschlissen sind?« Er klopfte dem grinsenden Hauptmann auf die Schulter, der sich das ohne Murren gefallen ließ. Wendel atmete auf. Jetzt waren sie so gut wie drin.
    Der Hauptmann entrollte das Pergament, und Wendel erkannte sofort, dass er die Buchstaben nur mit Mühe entziffern konnte. Ein versierter Schreiber hätte die Fälschung sofort entlarvt.
    »Wie

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