Die Tränen der Henkerin
sterben lassen.«
***
»Antonius!« Erhard Füger versuchte, seine Stimme nicht allzu scharf klingen zu lassen. Seit ihrem Streit im Wald waren sie sich aus dem Weg gegangen und hatten kein Wort miteinander gewechselt. Antonius hatte ihn nach etwa einer Meile eingeholt und war stumm neben ihm hergeritten. Sie hatten in einer Scheune übernachtet, die ein Bauer ihnen für wenig Geld überlassen hatte, für das er ihnen sogar noch einen Laib Brot und eine Räucherwurst als Wegzehrung mitgegeben hatte. Drei Tage war das her. Seit ihrer Rückkehr bestürmte Katherina ihn mit Fragen – den gleichen, die sie vor seiner Abreise gestellt hatte. Er hatte sie vertröstet, doch lange würde das nicht mehr gehen. Jetzt war Montag, und sie hatte ihm bedeutet, dass sie nicht länger auf eine Antwort warten würde. Sie war mit der Magd auf dem Markt und würde erst gegen Mittag wiederkommen. Dann wollte sie erfahren, was los war, sonst würde sie die gemeinsame Schlafkammer verlassen und ab sofort mit der Köchin in einem Bett schlafen. Nicht zum ersten Mal drohte sie damit, doch diesmal schien es ihr bitterernst zu sein.
Erhard seufzte. Seine Wut auf Antonius war längst verraucht. Natürlich hatte sein Leibwächter Melissa nicht gewarnt. Wie auch? Und vor allem: weshalb? Es war an der Zeit, sich mit dem aufrechten Mann zu versöhnen, auch wenn es ihm nicht leichtfiel. Aber gleichzeitig mit dem treuen Diener und mit seiner Gemahlin im Streit zu liegen, das war einfach zu viel. Zudem brauchte er für seinen Plan Antonius’ Hilfe.
Der Leibwächter trat in die Stube. Sein Blick war wachsam, seine Hände steckten im Gürtel.
Erhard holte tief Luft. »Ich möchte mich bei dir entschuldigen, Antonius. Es war dumm von mir, dich des Verrats zu bezichtigen.« Er sah Antonius in die Augen. Der Diener wirkte sichtlich erleichtert. Erhard meinte die Felsbrocken fallen zu hören, die auf seinem Herz gelastet hatten. Antonius nahm die Hände aus dem Gürtel, und auf seinem Gesicht machte sich ein Lächeln breit. »Und ich möchte dich in meine Pläne einweihen«, sprach Erhard rasch weiter. »Du sollst mir helfen, Wendel wieder nach Hause zu holen. Was sagst du, Antonius? Bist du dabei?«
»Ja, natürlich, Herr, wenn ich irgendetwas tun kann … jederzeit …« Antonius zögerte. »Aber wie sollen wir das anstellen? Wir haben doch das Geheimnis von Melissas Versteck nicht gelüftet.«
Erhard winkte ab. »Das brauchen wir nicht. Es hätte die Sache leichter gemacht, wenn wir Wendel damit hätten konfrontieren können, was für ein hinterhältiges Weib er sich da ins Haus geholt hat, doch es geht auch so. Ich weiß genug über diese falsche Melissa, glaube mir.« Er stellte zwei Becher auf den Tisch und goss Wein ein, ohne auf Antonius’ überraschten Gesichtsausdruck zu achten. »Trink!«
Antonius nahm seinen Becher, und sie stießen an.
»Auf Wendel!«, rief Erhard.
»Auf Wendel«, wiederholte Antonius vorsichtig.
Sie tranken, ließen sich am Tisch nieder. »Jetzt höre, was ich in Augsburg erfahren habe!«, sagte Erhard. »Es gibt nicht nur gar keine Melissa de Willms. Die Familienmitglieder sehen auch noch allesamt völlig anders aus als unser feiner Merten und seine Zwillingsschwester!« Rasch berichtete er, was er außerdem herausgefunden hatte: dass die beiden ein Gaunerpärchen sein mussten, das sich an leichtgläubigen Opfern bereicherte. Dass sie den echten Merten de Willms vermutlich ermordet hatten, und dass nun Wendel in ihrer Falle saß.
Antonius sprang auf, kaum hatte Erhard zu Ende gesprochen. »Diese Hexe! Wir müssen sofort nach Rottweil!«
»Immer mit der Ruhe.« Erhard drückte den Heißsporn zurück auf den Schemel. »Die Metze wird warten, bis sie Wendel einen Sohn geboren hat, der eines Tages sein Erbe antreten kann. Wir haben also Zeit, und das ist gut. Denn wir müssen besonnen vorgehen.«
»Und wenn die beiden Verbrecher ganz andere Pläne haben?«, fragte Antonius aufgebracht. »Wir dürfen Wendel nicht schutzlos in den Klauen dieser Mörderin lassen!«
»Natürlich müssen wir Wendel schützen«, bestätigte Erhard. »Aber ohne, dass er etwas merkt.«
Antonius wurde plötzlich blass.
Erhard sah, dass er mit sich rang, dass ihm etwas auf der Zunge lag. »Was ist?«, fragte er. »Was hast du?«
»Ihr wisst, dass Eure Gemahlin Kontakt zu Eurem Sohn hat?«, fragte der Leibwächter.
Erhard nickte ungeduldig. Ja, das wusste er. Er hatte es ihr zähneknirschend gestattet, sonst hätte sie nie wieder ein
Weitere Kostenlose Bücher