Die Tränen der Henkerin
Wort mit ihm gesprochen. »Sie schreibt ihm Briefe, ja, und er schreibt zurück. Warum erwähnst du das?«
»Weil sie mir etwas anvertraut hat, Herr.« Antonius wurde rot, schien mehr sagen zu wollen, biss sich dann aber auf die Unterlippe.
»Und was?«
»Es ist möglich, dass die Hexe wieder schwanger ist. Angeblich ist sie sicher, dass es diesmal ein Junge wird.«
»Ich verstehe.« Erhard brach der Schweiß aus. Wenn diese Melissa Wendels Sohn unter dem Herzen trug, gab es für sie keinen Grund mehr, länger zu warten.
»Ich kann sofort losreiten, Herr, wenn Ihr es befehlt.«
»Nein«, erwiderte Erhard barsch. »Wir müssen uns beeilen, ja, aber wir dürfen dennoch nichts überstürzen. Ohne List wird der Plan nicht aufgehen. Wenn Wendel erfährt, dass ich hinter seinem Rücken in Augsburg war, um Auskünfte über seine Gemahlin einzuholen, wird er mich bis ans Ende seiner Tage hassen. Vor allem wird er mir kein Wort glauben. Diese Melissa hat ihm offenbar so gründlich den Kopf verdreht, dass er die Wahrheit nicht wird hören wollen.«
Antonius nickte eifrig. »Aber was sollen wir tun?«
Erhard verzog den Mund zu einem Grinsen. »Du wirst ihn beschützen, bis sich eine Gelegenheit ergibt, Melissa von ihm wegzulocken. Du und meine Gemahlin, ihr werdet Wendel heimlich besuchen. Hinter meinem Rücken, verstehst du?« Er zwinkerte Antonius zu. »Irgendwie musst du die Herrin dazu bringen, nach Rottweil zu reisen. Aber sie darf keinesfalls erfahren, dass der Vorschlag von mir kommt, ist das klar?«
Antonius nickte, räusperte sich und hustete.
»Nimm noch einen Schluck Wein.«
Antonius nahm dankend an und trank gierig.
»Ich werde Katherina morgen sagen, dass ich wieder verreisen muss und mindestens einen Monat wegbleiben werde. Du musst dafür sorgen, dass sie möglichst rasch auf den Gedanken kommt, Wendel in meiner Abwesenheit einen Besuch abzustatten. Bestimmt brennt sie darauf, ihren Sohn zu sehen, es wird nicht schwer sein, sie zu überreden.« Erhard rieb sich die Hände. »Ich werde derweil mit zwei Männern in der Nähe von Rottweil ein Lager aufschlagen. Sobald sich eine Gelegenheit ergibt, bringst du Melissa zu mir. Wichtig ist, dass niemand weiß, dass ihr zusammen aufgebrochen seid. Dann kehrst du nach Rottweil zurück. Irgendwann wird man Melissa vermissen. Du beteiligst dich an der Suche, hast dabei aber ein Auge auf Wendel. Nicht dass Melissas Zwillingsbruder irgendwo lauert und ihm etwas antut! Katherina wird Wendel tröstend zur Seite stehen, wenn Melissa nicht wieder auftaucht, und sobald ich von dem Unglück erfahre, komme ich ebenfalls nach Rottweil und versöhne mich mit Wendel, sichere ihm meine Hilfe zu. Du wirst sehen: Bald schon wird er Rottweil verlassen und nach Reutlingen zurückkehren.«
»Und was geschieht mit Melissa?« Antonius starrte in den Weinbecher.
»Ich werde sie nach Augsburg bringen, wo man ihr den Prozess machen wird. Schade, dass ihr Versteck leer war. Sicherlich lagen darin Beweise für ihre Schandtaten.«
Antonius setzte den Becher ab und schluckte hörbar.
»Dir ist nicht wohl bei dem Gedanken?«
»Ich wusste ja die ganze Zeit, dass Melissa irgendein dunkles Geheimnis hat«, gestand der Diener. »Schließlich habe ich sie im Wald beobachtet. Doch nie hätte ich geglaubt, dass sie eine Mörderin ist. Ich habe immer gedacht, dass sie Wendel tatsächlich liebt.«
Erhard sah ihn prüfend an. Hoffentlich war es kein Fehler gewesen, Antonius einzuweihen. »Du weißt doch, wie durchtrieben Menschen sein können«, sagte er. »Und die Weiber allemal. Melissa de Willms beherrscht die Kunst der Täuschung meisterlich. Sonst wäre mein Sohn ja auch nicht auf sie hereingefallen. Du hast Wendel schon einmal vor einem Mordkomplott gerettet, Antonius. Jetzt braucht er erneut deine Hilfe.«
Antonius schwieg, doch in seinem Gesicht arbeitete es.
»Antonius! Hilfst du mir, Wendel zu retten? Ich brauche dich!« Langsam wurde es Erhard heiß. Was war mit seinem Diener? Warum antwortete er nicht? »Antonius!«
»Was ist mit dem Ungeborenen?«, stieß der Diener hervor.
Erhard Füger schluckte. Bei der Heiligen Jungfrau Maria! Der Mann hatte Recht. Sollten sie den Augsburgern verschweigen, dass Melissa schwanger war? Nein, auf keinen Fall. Er wollte eine Mörderin dingfest machen, sich aber nicht an unschuldigem Leben versündigen. »Die Augsburger müssen uns garantieren, dass das Kind leben darf«, erklärte er. »Erst nach der Geburt soll die Mörderin gerichtet werden.
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