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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Nur unter dieser Bedingung liefern wir sie aus.«
    Antonius’ Gesichtszüge entspannten sich. »Wendel muss gerettet werden, und ich werde alles dafür tun, was in meiner Macht steht!«
***
    Konrad Sempach erhob sich aus seinem Stuhl und reckte die Glieder. Ein langer Tag lag hinter ihm, angefüllt mit lästigem Schreibkram und ermüdenden Sitzungen des Esslinger Stadtrats, dem er angehörte. Als sei das noch nicht genug, hatte er, seit er am Nachmittag nach Hause gekommen war, das Gezeter seines Weibes ertragen müssen. Seit ihre drei Töchter verheiratet waren, fehlte Dorothea offenbar eine richtige Aufgabe. Das Hauswesen allein füllte sie nicht aus. Also strich sie pausenlos jammernd und schimpfend um ihn herum und raubte ihm den letzten Nerv. Vielleicht sollte er die Anzahl der Mägde reduzieren, damit genug Arbeit für Dorothea übrig blieb. Das würde ihr das Maul stopfen.
    Sempach verkorkte das Tintenfass und schob die Pergamentbögen zusammen. Vorfreude pulste ihm durch die Lenden, als er an das besondere Vergnügen dachte, das ihn heute noch erwartete, ein Vergnügen, das er sich viel zu selten gönnen durfte.
    Vor der Zimmertür polterte es, und im gleichen Augenblick erhob sich Dorotheas näselnde Stimme. »Du tollpatschiges Huhn! Musst du immer alles fallen lassen? Wisch das sofort auf! Wenn das noch einmal passiert, streiche ich für diese Woche deinen Lohn. Du hast ohnehin keinen Heller verdient. Ich müsste noch Geld dafür bekommen, dass ich dich Nichtsnutz durchfüttere!«
    Sempach trat angewidert ans Fenster. Dorotheas Gekeife und das Heulen der Magd hatten ihn aus seinen wohligen Gedanken gerissen. Sein Magen krampfte sich zusammen, Säure fraß sich die Kehle hinauf. Verflucht! Seit zwei Jahren haderte er mit seinem Magen. Mal verspürte er gesunden Appetit und genoss die köstlichen Speisen, die Dorothea ihm vorsetzte, doch dann wieder schienen seine Eingeweide ihn von innen her zu verschlingen und er bekam tagelang keinen Bissen herunter.
    Begonnen hatte das Elend, als dieser kleine Bastard verschwunden war, Melchior, der ehemalige Esslinger Henker. Er hatte einen Beschuldigten laufen lassen und war selbst geflohen. Unter seinen Habseligkeiten hatten die Büttel eine ketzerische Übersetzung der Heiligen Schrift gefunden, und Sempach hatte sich bereit erklärt, den Urheber dieses Machwerks zu finden. Die Spur hatte ihn zu Meister Henrich geführt, dem Braumeister, den eine verdächtige Freundschaft mit dem Henker verbunden hatte. Doch Sempach hatte ihm nichts nachweisen können, und der Bürgermeister hatte ihm schließlich untersagt, weiter nachzuforschen, weil er die Ketzerjäger der Kirche nicht in der Stadt haben wollte. Dieser Feigling! Sempach ballte die Faust. Melchior war jedenfalls nicht mehr aufgetaucht. Man hatte nie wieder von ihm gehört, also hatte der Rat ihn für tot erklären lassen und einen neuen Henker eingestellt. Doch Sempach glaubte nicht, dass Melchior einfach gestorben war. Er lebte. Er war irgendwo da draußen und lachte sich ins Fäustchen, weil er ihnen allen eins ausgewischt hatte.
    Sempach stützte sich auf das Fensterbrett und schaute hinaus. Er hatte sogar einmal kurz Melchiors Fährte aufgenommen, im Herbst nach dessen Verschwinden. Da hatte Petter, sein Handlanger, Melchior bei einer Hinrichtung erkannt. Er war der Henker gewesen, der Ottmar de Bruce hatte köpfen sollen und der absichtlich daneben geschlagen hatte, damit der Graf fliehen konnte. Obwohl der Henker eine Kapuze trug, war Petter sicher gewesen, dass es Melchior war. Doch in Urach hatte sich die Spur verloren. Sempach hatte im ganzen Land Kundschafter ausgeschickt, die jeden Henker genau in Augenschein nehmen sollten, wenn irgendwo eine Hinrichtung anstand. Melchior aber war nicht wieder in Erscheinung getreten. Noch nicht. Irgendwann jedoch würden sich ihre Wege noch einmal kreuzen, da war er ganz sicher. Es war ihr Schicksal.
    Der Lärm vor der Zimmertür war verebbt, und Sempach trat hinaus. Er lauschte. Alles still. So leise wie möglich schlich er die Treppe hinunter, denn er verspürte nicht die geringste Lust, Dorothea zu begegnen. Auf Höhe der Küche blieb er kurz stehen. Gesottenes Fleisch! Angewidert hielt er sich die Nase zu, keinen Bissen würde er heute hinunterbekommen. In den letzten Wochen hatte er ganz gut essen können, und er hatte sich bereits Hoffnung gemacht, bald wieder seine gewohnte Leibesfülle zu erlangen. Die übrigen Ratsherren spöttelten nur zu gern über seinen

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