Die Tränen der Henkerin
war zu auffällig und manch einer kannte es vielleicht von einem Turnier oder seinem letzten Besuch in der Stadt. Stattdessen hatte er sich einen kreuzbraven braunen Wallach ausgesucht, der starke Nerven und viel Ausdauer besaß. Der Braune war weit geduldiger als er selbst; am liebsten wäre er in einem Stück durchgeritten, und er hatte sich dazu zwingen müssen, auf halber Strecke eine Rast einzulegen. Was für einen Sinn hätte es auch gehabt, mitten in der Nacht in Rottweil einzutreffen, wo er ohnehin keinen Einlass gefunden hätte?
Während der Wallach über die Brücke auf das Tor zutrottete, ging von Säckingen noch einmal den Plan durch, den er sich unterwegs zurechtgelegt hatte. Das Haus der Fügers lag schräg gegenüber dem Rathaus an der Hauptstraße, die vom Oberen Auentor die Stadt hinauf zum Waldtor führte. Es war, wie von Säckingen von seinen Männern erfahren hatte, achtzehn Fuß breit und dreißig Fuß tief. Nach hinten heraus lag der Hof mit Stallungen, Abort, Kräutergarten und Brunnen. Grund und Boden reichten bis zur Blumengasse, die parallel zur Hauptstraße verlief. Von dort konnte man einfach über den niedrigen Zaun klettern, um in den Hof zu gelangen. Einen Wachhund gab es nicht, auch keine Gänse, an denen er nicht unbemerkt vorbeigekommen wäre. Die Familie besaß allerdings einige Hühner, die ebenfalls Lärm machen konnten. Um sie zu beruhigen, hatte er sich einen Beutel Gerste besorgt. Da konnte kein Huhn widerstehen. Die Tiere würden sich Bauch und Kropf so vollstopfen, dass sie keinen Ton mehr herausbrachten.
Drei Knechte, zwei Mägde und eine Köchin lebten mit der Familie im Haus, zudem waren die Mutter des Hausherrn und ihr Leibwächter zu Besuch. Unangenehm, aber für von Säckingen kein Grund, den Plan zu ändern. Er hatte hin- und herüberlegt, es gab nur einen halbwegs sicheren Weg: Er musste über den Zaun, die Hühner füttern, die Hintertür aufbrechen, durch die Stube die Treppe hinauf in die Schlafkammer, wo er das Kleid auf dem Bett ausbreiten würde. Danach würde er auf demselben Weg wieder verschwinden. Othilias Kundschafter hatten die Gewohnheiten der Fügers eine Weile beobachtet und festgestellt, dass zur Frühmesse am Freitagvormittag niemand im Haus war. Diese Tatsache hatte sich auch schon einer von Othilias Söldnern zunutze gemacht, als er einen anderen Gegenstand im Haus deponiert hatte. Um welchen Gegenstand es sich dabei gehandelt hatte, hatte Othilia ihm nicht verraten.
Von Säckingen wischte den Gedanken an seine Herrin und ihre Winkelzüge ärgerlich fort. Er wollte jetzt nicht daran denken. Lieber dachte er an das, was vor ihm lag. Morgen würde er Mechthild so nah sein wie nie zuvor. Morgen würde er in ihr Haus eindringen und ihr Schlafgemach aufsuchen.
Von Säckingen ließ sich auf der Bank nieder. Er hatte sich für die Nacht im Gasthaus »Zum Löwen« einquartiert, das sich neben dem Auentor an die Stadtmauer schmiegte. So konnte er die Stadt schnell wieder verlassen, falls es nötig werden sollte. Er hatte sich als Rudolf Meyen ausgegeben und behauptet, unterwegs nach Basel zu sein, wo er Geschäfte zu erledigen habe. Obwohl ihn kein Ungeziefer geplagt hatte und der Lärm in der Schankstube weit vor Mitternacht verebbt war, hatte er kaum ein Auge zugetan. Das hatte nicht daran gelegen, dass ihm die bevorstehende Aufgabe den Schlaf raubte, nein! Er war schließlich ein Krieger, und ein Abenteuer wie dieses war kaum dazu geeignet, ihn aus der Ruhe zu bringen. Vielmehr hatte er befürchtet, ausgeraubt oder schlimmer noch, enttarnt zu werden. Das konnte er sich keinesfalls erlauben. Bereits vor dem Morgengrauen hatte er sich daher von seinem Lager erhoben und einige Übungen gemacht, um seine Muskeln aufzuwärmen.
Inzwischen hatten sich auch die anderen Gäste von den Bänken erhoben, auf denen sie die Nacht verbracht hatten, rollten die Felle zusammen und packten ihre Bündel. Eine Magd brachte Brot und Brei.
Von Säckingen hatte zwar keinen Appetit, doch er schaufelte den Hirsebrei in sich hinein. Was er vorhatte, sollte er besser nicht mit leerem Magen angehen. Er wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. Wider Erwarten war der Brei recht schmackhaft, denn es waren reichlich Honig und sogar Nüsse beigemischt.
Gerade als er den Rest aus der Schale mit einem Stück Brot zusammenkratzte, läuteten die Glocken zur Messe. Von Säckingen packte seine Sachen und trat auf die Straße.
Flaumige Wolken huschten über den Himmel, ein milder
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