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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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aus. Sie eilte auf sie zu, nahm beide auf einmal in die Arme und drückte sie so fest, als wolle sie sie nie wieder loslassen.
    Wendel machte sich als Erster frei. Er lachte. »Wie schön, dich so schnell wiederzusehen, Mutter! Wie war die Reise? Ihr beide«, er zeigte auf Antonius, der etwas abseits stand, »scheint müde zu sein?«
    Katherina entließ auch Melisande aus ihrer Umarmung und verzog den Mund. »Ach ja. Antonius, bring meine Sachen ins Haus, dann kannst du etwas essen.« Sie drehte sich zu Gertrud, die bereits unruhig auf Selmtrauds Arm herumzappelte. »Da ist ja meine kleine Prinzessin! Komm, meine Süße, komm in meine Arme!« Sie nahm das Kind von der Magd in Empfang und wirbelte es durch die Luft. Für einen Augenblick schien alle Erschöpfung von ihr gewichen zu sein.
    Wendel trat auf Antonius zu. »Willkommen, Freund!«, sagte er warm. »Stell doch das Gepäck ab.«
    Antonius zögerte einen Moment, dann gehorchte er. Wendel drückte ihn herzlich und raunte ihm etwas ins Ohr. Melisande verstand die Worte nicht, aber es musste etwas Erfreuliches sein, denn Antonius’ Miene hellte sich auf, ja, er brachte sogar ein schmales Lächeln zustande, das jedoch nur kurz währte. Dann nahm er das Gepäck wieder auf und nickte Melisande im Vorbeigehen zu, wie es sich für einen Untergebenen schickte. Trotz der vollendeten Höflichkeit lief es Melisande eiskalt den Rücken hinunter. Was war nur mit Antonius los? Grollte er ihr? Oder sah sie wieder einmal Gespenster?
    Wendel hatte von der Kälte zwischen ihr und Antonius offenbar nichts bemerkt. »Es ist schön, dass ihr da seid«, sagte er zu Katherina, die Gertrud inzwischen an Selmtraud zurückgegeben hatte. »Wie lange wirst du dieses Mal bleiben können?«
    »Solange ihr mich ertragt.« Sie lächelte schwach.
    Wendel öffnete die Hände. »Liebste Mutter, dann bleib, so lange du möchtest. Unser Haus ist dein Haus.« Er führte sie über die Schwelle. »Michel! Bring die Pferde in den Stall! Walburg! Wo bleibt das Essen? Willst du dich nicht um unsere Gäste kümmern?«
    Die Köchin eilte zum Herd. »Berbelin! Wo sind die frischen Kräuter, die du aus dem Garten holen solltest? Wo ist das Brot?«
    Berbelin rannte los, die Blumen rutschten ihr aus dem Haar, und Wendel hob den Kranz lachend auf. »Keine Angst, so schnell verhungert meine Mutter nicht.«
    Melisande blieb auf der Schwelle stehen und sah von dort zu, wie ihr Gemahl seine Mutter an den besten Platz am Tisch bugsierte, ihr Wein einschenkte und Nüsse und reife Pflaumen reichte. Selmtraud gesellte sich mit Gertrud zu ihnen, und Katherina reichte ihrer Enkelin ein Stück saftiges Fruchtfleisch. Ein Bild voller Harmonie, dachte Melisande, eine glückliche Familie. Sie lächelte. Wendel schien noch voller Hoffnung zu sein, dass auch sein Vater bald zu diesem perfekten Familienglück gehören würde, doch sie wusste es besser. Die düsteren Mienen der beiden Reisenden, die Tatsache, dass Katherina ihren Diener wie ein Möbelstück behandelte, dass Antonius sie selbst mit unverhohlener Abneigung begrüßt hatte. All das konnte nur eines bedeuten: Ihre Schwiegermutter war nicht so bald schon wieder angereist, weil es gute Neuigkeiten gab. Im Gegenteil: Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht. Doch was? Im Augenblick wusste Melisande nur eines sicher: Über Erhard Füger war nicht der Geist der Versöhnung gekommen und hatte ihn dazu veranlasst, seine Gemahlin und seinen Leibwächter loszuschicken, die frohe Botschaft zu verkünden. Doch welchem Zweck diente ihr Besuch dann? War etwas geschehen? Oder verfolgte Wendels Familie einen Plan? Und warum verachtete Antonius sie auf einmal so sehr?
***
    »Nun, Albrecht, seid Ihr mit Berthold, dem Sohn Bertholds von Massenbach übereingekommen, was die Burg und Eure Lehnsverpflichtungen betrifft?« Graf Ulrich III. musterte den massigen Mann, der vor ihm stand und seinen Kopf ein wenig gebeugt hielt, abwartend. Es war eine leidige Sache, seit Jahren schon anhängig. Albrecht und Berthold teilten sich Burg Neuhaus als gemeinsames Lehen, und diese enge Bindung schien sie übermütig zu machen. Immer wieder waren die beiden Burgherren eigene Wege gegangen, immer wieder hatten sie sich ihren Lehnsverpflichtungen entzogen, weil sie glaubten, mehr für Württemberg zu tun, als das Lehen, das Ulrich ihnen überschrieben hatte, wert war. Im letzten Frühjahr war es Ulrich zu bunt geworden, er hatte Stefan von Burgau zu der Burg geschickt und den beiden klargemacht, dass

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