Die Tränen der Henkerin
endlich wieder zurückgibt. Ich muss sowieso den einen oder andern im Lande an seine Verträge erinnern.« Er seufzte erneut tief und rieb sich das Bein. So schnell, wie er gehofft hatte, war es nicht verheilt, und Sophie hatte ihm gedroht, ihn aus dem Schlafgemach auszusperren, sollte er sich auf weitere Jagdabenteuer einlassen. Eine harte Strafe, auch wenn er sich eingestehen musste, dass Sophie Recht hatte. Trotzdem verdarb es ihm die Stimmung, hinter den Mauern seiner Residenz eingesperrt zu sein. Die Aussicht auf eine Reise war durchaus willkommen und verbesserte seine Laune ein wenig. Allerdings würde er Sophie mitnehmen müssen, da sie ihm nicht über den Weg traute. Auch damit hatte sie Recht. Die Jagd war nun mal das edelste und kühnste Vergnügen, das einem Mann seines Standes vergönnt war. Auf sie zu verzichten war bitter und fiel ihm schwer. Eine Reise durch sein Reich war durch all die mit ihr verbundenen Strapazen und Unannehmlichkeiten ein schlechter Ersatz. Doch es musste sein. Seine Söhne konnten ihn in seiner Abwesenheit vertreten, sie hatten sich zu seiner Freude zu geschickten Regenten entwickelt.
»Suitbert, lass alles für eine Reise vorbereiten. Ich möchte in zwei Tagen aufbrechen«, sagte er. »Wir beginnen im Süden und arbeiten uns nach Norden vor. In zwei Monaten sollten wir wieder hier sein.«
»Sehr wohl, Herr.« Der Schreiber verneigte sich. »Eins noch, Herr, wenn Ihr erlaubt. Ich habe Nachricht von Fussili.«
Ulrich straffte seinen Rücken. »Gut. Her damit!«
Suitbert griff in die Falten seines Gewandes, zog ein Pergament hervor und reichte es ihm mit einer Verneigung.
Ulrich nahm es und drehte es in den Händen. Das Siegel war unversehrt. »Ich danke Euch, Suitbert.«
Der Schreiber verstand und zog sich eilends zurück. Ulrich erbrach das Siegel, sobald sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte. Er überflog die einleitenden Höflichkeitsfloskeln, die fast ebenso viel Platz einnahmen wie die Neuigkeiten, die ihn interessierten.
Endlich kamen die Worte, auf die er gewartet hatte:
Herr, ich habe den Kaufmann ausfindig gemacht, der vor zwei Jahren das Schreiben an Euch übergeben hat. Es handelt sich um Karl Likkius aus Ulm. Bedauerlicherweise ist er auf Reisen. Doch er wird in wenigen Tagen zurückerwartet.
Euer untertänigster Diener Alberto Fussili.
Ulrich knüllte das Pergament zusammen, stand auf und warf es in den Kamin, wo es prasselnd verbrannte. Er starrte in die Flammen und genoss das Kribbeln, das die Nachricht in seinen Gliedern ausgelöst hatte. Die Meute hatte die Witterung aufgenommen, die Beute saß so gut wie in der Falle. Ja, auch das war eine Jagd, und sie begann, ihm Spaß zu machen. Nur eins wusste er noch nicht: wohin das Abenteuer führen würde. Was sollte er mit dem Galgenstrick tun, der ihn dermaßen an der Nase herumgeführt hatte? Ihn heimlich meucheln lassen oder in seine Dienste nehmen? Nun, das würde er entscheiden, wenn die Jagd beendet war.
***
Von Säckingen zog die Zügel an. In der Ferne erhob sich Rottweil imposant in den Himmel: Die gewaltige Stadtbefestigung, der Hochturm und die Brücke über den Neckar, die zum Auentor führte, strahlten hell im Nachmittagslicht. Irgendwo hinter diesen Mauern befand sich Mechthild oder Melisande oder wie auch immer sie in Wirklichkeit heißen mochte. Er schnitt eine Grimasse. Othilia hatte ihn durchschaut. Er hatte in der Tat keine Ahnung, wie Frauen dachten oder fühlten. Vor allem wusste er nicht, wie Othilia dachte und fühlte und wie ihre Pläne aussahen. Was hatte sie mit Melisande vor? Wozu sollte er ihr das Kleid bringen? Was bezweckte die Herrin mit diesem Hokuspokus? Er hasste es, eine Figur in einem Spiel zu sein, dessen Regeln er nicht kannte! Der Auftrag hatte nur ein Gutes: Er würde endlich die Gelegenheit erhalten, sich die falsche Melissa Füger von Nahem anzusehen, um sicherzugehen, dass es sich bei ihr wirklich um Mechthild handelte, die Frau, die er seit zwei Jahren suchte. Nicht, dass er noch Zweifel hegte. Nicht mehr, seit er das Kleid gesehen hatte. Doch es würde etwas anderes sein, ihr leibhaftig zu begegnen. Dabei allerdings musste er sich geschickt anstellen, denn er durfte auf keinen Fall gesehen werden. Er brauchte nicht Othilias Anweisungen, um zu wissen, dass eine solche Begegnung fatale Folgen haben würde.
Von Säckingen straffte die Schultern und gab dem Pferd die Sporen. Dieses Mal hatte er für seinen Ritt nach Rottweil nicht Excelsior genommen, denn das Tier
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