Die Tränen der Henkerin
konnte. Erneut lobte er sich im Stillen für diese geniale Einrichtung, durch die sich die Maschine jeder Körpergröße anpasste. Jetzt die Zehen. Sie waren dreckig, aber das störte nicht. Wenn nur endlich der Käfig geschlossen war und der Alte zwangsläufig irgendwann nicht mehr anders konnte, als sich zu bewegen!
Zum Schluss noch das Würgeband um den Hals und nachgeschaut, ob die Augen- und Ohrenbohrer richtig positioniert waren. Sempach trat einen Schritt zurück, betrachtete die Persae samt ihrer menschlichen Fracht und war zufrieden. Er schnippte mit den Fingern, sofort sprangen die Knechte wieder herbei und schlossen den Käfig. Nichts passierte. Gut! Genau so sollte es sein.
Denn ein letzter Handgriff fehlte noch. An der Vorderseite der Maschine hatte der Nürnberger Uhrmacher einen kleinen Hebel angebracht. Sempach nahm einen hohlen Vierkant vom Schlüsselbund an seinem Gürtel, steckte ihn in die vorgesehene Öffnung und drehte. Metallisches Klicken und Klackern erfüllte den Folterkeller. Nach einer Viertelumdrehung hielt er inne. Nichts. Gut. Noch dämmerte der Alte vor sich hin. Sempach drehte weiter, bis sich die Metallfeder, die mit dem Vierkant verbunden war, ganz gespannt hatte. Jetzt war die Persae bereit.
Sempachs Atem ging schneller. Blut pulsierte heiß in seinem Körper. Das hatte er vorher noch nie verspürt, wenn er im Thronsaal war: In seinen Lenden regte sich die Lust.
Er legte den Hebel an der Vorderseite der Maschine um und setzte damit einen kleinen, unscheinbaren Dorn in Gang, der dem Alten in den Oberarm piekste. Das bereitete diesem keinen ernsthaften Schmerz, noch nicht. Als der Alte jedoch die Augen öffnete, den Kopf drehte und eine Hand bewegte, begann die Persae zu singen: Rädchen setzten sich in Bewegung, die Augenbohrer schoben sich nach vorn, der Kopfgurt straffte sich, an den Waden bohrten sich feine Nadeln in die Haut.
Sempach holte tief Luft. Unglaublich! Es funktionierte! Aber er musste eingreifen, sonst war das Spiel zu schnell vorbei. Er stoppte die Maschine, in dem er den Hebel wieder nach vorne zog. Sofort kehrten Nadeln, Gurte und Bohrer wieder in ihre Ausgangsstellung zurück.
Der Alte schnappte nach Luft, Sempach trat neben ihn. »Du darfst dich nicht bewegen, sonst fügst du dir selbst Schmerz zu. Hast du verstanden?«
Der Alte erwiderte nichts, Schweiß brach ihm aus allen Poren. An seinen Augen erkannte Sempach, dass er verstanden hatte.
»Gebt ihm zu trinken, er hat noch einen harten Tag vor sich!«, befahl er.
Die Knechte gehorchten augenblicklich. Sie öffneten die Gittertür und setzten dem Alten einen Becher an die Lippen. Gierig schluckte er, hustete und sank in sich zusammen.
»Das reicht!« Sempach wartete, bis der Alte wieder zu Atem gekommen war und wiederholte dann seine Erklärung: »Wenn du dich bewegst, schadest du dir selbst. Wenn du stillhältst, wirst du leben und frei sein. So lautet die Abmachung.«
In den Augen des Alten glomm ein Funke Hoffnung auf. Sempach unterdrückte ein Lächeln, schloss die Tür wieder und legte den Hebel um. Sofort setzte der Dorn sich erneut in Bewegung. Obwohl es dem Alten diesmal tatsächlich gelang stillzuhalten, glitt der Dorn weiter vor. Die Stelle, auf die er traf, färbte sich rot, die Haut riss ein, ein Blutfaden lief den ausgemergelten Arm hinunter. Noch immer regte sich der Alte nicht, aber lange würde er nicht mehr standhalten. Überall traten Sehnen aus dem mageren Körper hervor wie gespannte Seile, Schweiß lief in kleinen Bächen über die fahle Haut.
Der Alte schloss die Augen, dann schrie er mit gellender Stimme: »Verflucht seiest du, Konrad Sempach, du Ausgeburt der Hölle!«
Sempach taumelte einen Schritt zurück.
Der Alte stieß einen markerschütternden Schrei aus und begann unvermittelt, jedes Glied, das er zu rühren vermochte, hektisch hin und her zu bewegen.
Rädchen klickten, Federn zischten, Riemen zogen sich stramm, die Bohrer schossen nach vorn, Messer klappten auf und schnitten blutige Linien in den Rücken des Alten, der längst nicht mehr schreien konnte, weil der Halsriemen ihm die Luft abschnürte. Einige Wimpernschläge lang zappelte er noch, dann hing er schlaff im Käfig. Er spürte es nicht mehr, wie die Maschine ihm die Augen ausbohrte, wie sie ihm die Dorne in die Gehörgänge rammte, die Achillessehnen zerschnitt und das Gemächt zerquetschte.
»Verdammt«, flüsterte Sempach mit feuchten Augen, nachdem der Mechanismus mit einem leisen Quietschen die
Weitere Kostenlose Bücher