Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
Vom Netzwerk:
unentrinnbar festzuhalten und ihm zugleich genügend Bewegungsfreiheit zu geben. Das war die Seele dieser Maschine. Wer immer darin steckte, würde nicht nur einen, er würde Hunderte Tode sterben. Genau das Richtige für den stummen Melchior, den ehemaligen Henker von Esslingen. Irgendwann würde man ihn fangen, auch wenn der Rat der Stadt alle glauben machen wollte, dass er tot war. Ein Lächeln glitt über Sempachs Gesicht. Für diesen Moment wollte er vorbereitet sein. Dann endlich würde er dieser Ausgeburt der Hölle zurückzahlen, was sie ihm angetan hatte.
    Sempach klatschte in die Hände. Es war an der Zeit, einen neuen Testdurchlauf zu machen. Augenblicke später schleppten Knechte einen alten, halb verhungerten Gefangenen herbei, der einverstanden gewesen war, sich als Testperson zur Verfügung zu stellen. Auch der Rat hatte seinem Anliegen zugestimmt, hatte sich allerdings ausbedungen, dass Sempach alle Kosten aus dem eigenen Geldbeutel beglich und sich auch um eventuelle Forderungen von Angehörigen kümmerte.
    Sempach fürchtete sich nicht vor irgendwelchen Angehörigen. Der Alte vegetierte bereits so lange im Esslinger Verlies vor sich hin, dass niemand mehr wusste, wessen er überhaupt angeklagt war. Selbst sein Name war in Vergessenheit geraten. Sempach verzog den Mund zu einem Grinsen. Immerhin wurde dem namenlosen Alten nun die Ehre zuteil, der erste Mensch zu sein, der sich am eigenen Leib von der Wirksamkeit der Persae überzeugen durfte.
    Die Knechte hievten den Mann in den Käfig, der das Herz der Maschine bildete. Noch standen beide Flügel weit offen, sodass es für die Knechte leicht war, dem Alten die Fesseln anzulegen. Er stand aufrecht und wurde von einem breiten Hüftgürtel gehalten, der ihn davor bewahrte, zu Boden zu sinken oder umzufallen. Seine Füße standen in einem kleinen Bottich, in den man verschiedene Flüssigkeiten schütten konnte, zum Beispiel heißes Öl.
    Mit einer Handbewegung bedeutete Sempach den Knechten zurückzutreten. Jetzt galt es nur noch, Kopf und Glieder des Alten mit der Persae zu verbinden. Für jeden Finger gab es einen Ring, der durch eine Schnur an die vielfältigen Rädchen angeschlossen war. Sempach schauderte vor Vergnügen. Die Idee war ihm im Schlaf gekommen. Er hatte die Maschine im Traum vor sich gesehen: Melchior hatte darin gesteckt und um Gnade gefleht, die Sempach ihm selbstverständlich nicht gewährt hatte. Am nächsten Morgen hatte er seine Traumbilder aufgezeichnet. Bis nach Nürnberg war er gereist, um einen Handwerker zu finden, einen Uhrmacher, der in der Lage gewesen war, den komplizierten Mechanismus zu bauen. Den Rest hatten Esslinger Tischler und Schmiede besorgt. Monate hatte es gedauert, bis der Apparat so funktioniert hatte, wie Sempach es in seinem Traum gesehen hatte. Nun endlich war es so weit.
    Er hatte die Maschine »Persae« getauft, was so viel bedeutete wie per omnia saecula saeculorum , von Ewigkeit zu Ewigkeit. Denn die Persae ließ jede Sekunde wie eine Ewigkeit erscheinen. Der Delinquent folterte sich in ihr selbst, und auch wenn Sempach eingestehen musste, dass die Grundidee nicht ganz neu war – seine Persae war zweifelsohne die raffinierteste Umsetzung dieser Idee, die die Welt je gesehen hatte.
    Am liebsten hätte Sempach die Persae mit einem der Mädchen ausprobiert, die Ekarius ihm besorgte. Das wäre ein Hochgenuss gewesen. Er hatte sogar überlegt, sie in das neue Versteck bringen zu lassen, in seine geheime Kammer der Lüste. Aber das wäre leider viel zu gefährlich. Selbst hier im Folterkeller musste er darauf achtgeben, dass er die Regeln einhielt. Ein Mädchen hereinzuschmuggeln wäre tödlicher Leichtsinn. Dummerweise teilten nicht alle Männer im Rat seine exquisiten Neigungen, und irgendein Schwächling – vermutlich dieser Gutmensch Karl Schedel – würde ihm daraus sicherlich einen Strick drehen.
    Bei dem Gedanken an die Kleine, die Ekarius ihm vor einer Woche geliefert hatte, nachdem die andere dummerweise gestorben war, lief Sempach das Wasser im Mund zusammen. Was für ein Leckerbissen! Ihr zarter, kindlicher Körper in der Persae … Ein Stöhnen entfuhr ihm. Er schüttelte den Kopf, um die Bilder zu vertreiben. Vielleicht. Eines Tages. Fürs Erste musste er mit dem Alten vorliebnehmen. Hauptsache, der starb nicht zu schnell.
    Vorsichtig schob Sempach jeweils einen Ring auf jeden Finger des Alten und zog ihn mit einer kleinen Flügelschraube gerade so fest, dass er nicht herunterrutschen

Weitere Kostenlose Bücher