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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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Instrumente in die Ausgangsstellung zurückgezogen hatte. »Jeder Henker des Landes wird vor Neid erblassen, wenn er dieses Wunderwerk bei der Arbeit erlebt.«
    Er schaute sich um. Die Henkersknechte starrten auf die blutigen Reste des Alten. Einer hatte sich übergeben, ein Faden Speichel hing ihm aus dem Mund. Sempach grinste verächtlich. »Holt den Kadaver da raus, und macht mir alles anständig sauber«, befahl er. »Aber passt auf, dass ihr nichts beschädigt, sonst seid ihr die Nächsten, die dieses Wunderwerk zu schmecken bekommen.«
    Er lachte dröhnend und stapfte die Treppe hinauf. Die Persae war ihr Geld zweifelsohne wert, jeden einzelnen Heller. Nur eine Kleinigkeit musste er noch ergänzen: Man musste den Ablauf des Mechanismus schneller unterbrechen können. Der Alte hatte seinem Leiden mithilfe der Maschine selbst ein Ende gesetzt, als er begriffen hatte, dass ihn nichts mehr retten konnte. Das durfte nicht sein.
***
    »Und er hat tatsächlich keine Armee dabei?« Melissa schien es nicht glauben zu wollen.
    Wendel tätschelte ihr die Wange. Er war besorgt, denn seine Frau war noch immer blass. Sie kränkelte, seit ihr am Freitag in der Messe schwindelig geworden war. »Keine Angst«, sagte er aufmunternd. »Er weiß, dass er gegen Rottweil nicht zu Felde ziehen kann, ohne einen Aufstand der Reichsstädte auszulösen. Er ist hier, weil er verhandeln will.«
    »Um was geht es?«
    »Ich weiß es nicht genau. Die Ratsherren sind sehr verschwiegen. Aber man munkelt, es drehe sich um ausgedehnte Ländereien südlich der Stadt.«
    »Oh nein!« Melissa schüttelte verärgert den Kopf. »Ist unser Weinberg davon betroffen?«
    Wendel seufzte. »Wenn die Gerüchte stimmen, ja. Nur gut, dass ich den Vertrag noch nicht unterschrieben habe.« Er verscheuchte den ärgerlichen Gedanken und klatschte in die Hände. »Los, los, wo bleibt ihr denn? Wir verpassen den Einzug des Grafen! Oder wollt ihr lieber hierbleiben und die Ställe ausmisten?«
    Er hatte den Bediensteten erlaubt, mit zum großen Empfang des Grafen von Württemberg zu gehen, und ihnen sogar für Anlässe wie diesen gute Ausgehgewänder fertigen lassen. Das war nicht billig gewesen, und manch einer aus seiner Zunft hatte ob dieser Geldverschwendung den Kopf geschüttelt. Doch Wendel mochte es nicht, dass die Menschen, die ihm dienten, in Lumpen herumliefen, während er fein herausgeputzt war. Im Kerker von Esslingen hatte er für den Fall, dass er diesen jemals lebend verlassen würde, geschworen, zu allen Menschen gut zu sein und nicht sinnlos Reichtum anzuhäufen. Er dachte nicht oft an jene Tage zurück, zu schrecklich war gewesen, was ihm dort widerfahren war. Doch manchmal, vor allem, wenn sein Fuß mehr schmerzte als gewöhnlich, suchten ihn die entsetzlichen Erinnerungen heim; dann roch er wieder das Blut und die Fäkalien, hörte den schneidenden Befehlston des Ratsherrn Konrad Sempach, sah die grauenvollen Werkzeuge in den geschickten kleinen Händen des Henkers, und Verzweiflung kroch in ihm hoch. In solchen Momenten versuchte er, seinen Gemütszustand vor Melissa zu verbergen. Sie musste von diesen schrecklichen Dingen nichts wissen, schon gar nicht jetzt, wo es ihr so schlecht ging.
    Er sah sich um. Endlich waren alle fertig. Wendel konnte ein Grinsen nicht unterdrücken, als er Michel sah, der wie immer, wenn er seine Beinlinge aus feinem Leinen und sein wollenes Wams trug, völlig verwandelt schien. Aus dem tapsigen Burschen schien der Sohn eines Gutsherrn geworden zu sein; wie ein Gockel stapfte er umher, verbeugte sich hier und da und schwang einen Gehstock, den er sich aus der Wurzel einer Eiche geschnitzt hatte.
    »Auf geht’s!« Wendel nahm Melissa und Katherina am Arm, es folgten Antonius und Selmtraud, die Gertrud trug, dann Bart, Wolfgang und Michel, zuletzt Berbelin und Walburg.
    Ein ordentlicher Hausstand ist ebenso wichtig wie ordentlich geführte Bücher, dachte Wendel. Und im Augenblick schien alles zum Besten bestellt zu sein. In der letzten Woche noch hatte er sich Gedanken gemacht, weil Antonius sich so abweisend verhalten hatte, doch dessen schlechte Laune schien inzwischen verflogen zu sein. Ein wenig Sorge bereitete ihm allerdings Melissas Zustand. Als sie mit Gertrud schwanger gewesen war, hatte sie keinerlei Beschwerden gehabt, hatte noch mit dickem Bauch in der Küche und im Weinkeller geholfen. Vielleicht lag es ja daran, dass sie diesmal einen Knaben erwartete. Hieß es nicht, dass Söhne ihren Müttern schon vor

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