Die Tränen der Henkerin
wohl, edler Ritter.«
»Gute Reise, Mönch. Und auf bald. Ich werde Euch mit Freuden willkommen heißen, wenn Euer Weg Euch auf die Adlerburg führt.«
Der Geistliche verschwand lautlos zwischen den Stämmen, kein Knacken oder Rascheln verriet, wohin sein Weg ihn führte.
Von Säckingen blieb verwirrt zurück. Fast kam es ihm vor, als hätte er die Begegnung geträumt. Doch ein Traum hinterließ keine Kerbe im Baum. Wie hatte er sich nur so überrumpeln lassen können? Ungehalten über seinen eigenen Leichtsinn wandte von Säckingen sich ab. Dieser merkwürdige Mönch hatte ihn nicht nur unbewaffnet und wehrlos überrascht, sondern ihn auch noch dazu gebracht, Dinge von sich zu erzählen, ohne im Gegenzug selbst etwas zu erfahren. Gewöhnlich war er es, der die Zunge Fremder löste, ohne mehr als das Nötigste von sich selbst preiszugeben.
***
Es war wie immer: Kaum war Ulrich unterwegs in seinem Land, verbreitete sich die Kunde von seiner Reise wie ein Lauffeuer. Alle Städte und Dörfer, ja selbst armselige Bauernkaten wurden herausgeputzt, als käme der Kaiser persönlich. Die Straßen wurden sauber gefegt, die Bettler in den Turm geworfen und die Fassaden der Häuser mit Blumen und Girlanden geschmückt. Ulrich hatte nichts dagegen, dass seine Untertanen ihm zu gefallen suchten. Aber leider war das nur der Fall, wenn er persönlich bei ihnen erschien. Dann fiel der Schatten der Macht auf die Menschen, und sie wollten an ihrem Glanz teilhaben, indem sie sich so prächtig wie möglich ausstaffierten. Und vor allem taten sie alles, um zu verbergen, dass sie ihre Pflichten nur widerwillig erfüllten, wenn der Regent gerade nicht bei ihnen weilte.
Seine Gemahlin und sein ganzer Hofstaat begleiteten Ulrich, denn nur mit angemessenem Prunk machte man als Herrscher angemessenen Eindruck. Abseits des Trubels sorgte sein Schreiber Suitbert dafür, dass auch der geschäftliche Teil der Reise reibungslos vonstattenging, und kümmerte sich um die vertragsgemäße Abrechnung der Abgaben. In den meisten Fällen gab es keine Beanstandungen, und bis jetzt hatte noch niemand in Eisen gelegt werden müssen, weil er betrogen hatte.
Nun waren sie auf dem Weg nach Rottweil. Die Ländereien südlich der Stadt, immerhin fünfundzwanzig Äcker, waren ein kaiserliches Lehen, und es war Ulrich ein Rätsel, wie es dazu hatte kommen können, dass die Rottweiler das Land bewirtschafteten und den Ertrag von hundertfünfzig Maltern Getreide, dreihundertsiebzig Hühnern, fast zweitausendfünfhundert Eiern, einem Eimer Honig, fünf Schweinen und zwei Schlachtochsen seit Jahren für sich einstrichen.
Er ging noch einmal seine Strategie durch. Das Ziel war klar: Er musste sein Recht durchsetzen und das Lehen zurückfordern. Immerhin hatte Suitbert herausgefunden, dass er in den letzten Jahren einen ganzen Batzen dafür an den Kaiser gezahlt hatte – eine Summe, die sich in einem anderen Posten verborgen hatte. Er konnte den Rottweiler Bürgern nicht nachweisen, dass sie das Unrecht bewusst begangen hatten. Also würden sie auch keinen Ausgleich zahlen, zumindest nicht freiwillig. Dennoch würde er auf keinen Fall militärisch gegen Rottweil vorgehen – die Stadt war rauflustig wie eine verletzte Bärin, und die anderen Reichsstädte würden diesen Fehler sofort nutzen, ihrer Verbündeten beispringen und so ganz nebenbei das eine oder andere Stück Land unter ihre Herrschaft bringen. Am Ende hätte er womöglich mehr verloren als gewonnen.
Ulrich strich sich über das Kinn. Seine Verhandlungsposition war denkbar schlecht. Wenn die Rottweiler kein Einsehen hatten, musste er sich an den Kaiser wenden, eine unangenehme Sache, denn das warf kein gutes Licht auf seine Regentschaft. Da half nur ein Gegengeschäft, das ihn nicht viel kostete, den Rottweilern aber das Gefühl gab, sie hätten einen großen Erfolg errungen. Er würde ihnen also zusichern, die Straßen um Rottweil, die in seinem Herrschaftsbereich lagen, nicht nur auszubessern, sondern auch noch besonders gut bewachen zu lassen. Das hatte er ohnehin vorgehabt. Jetzt aber würde er es als großmütige Wohltat hinstellen und damit hoffentlich einen Konflikt vermeiden. Nun … in zwei Tagen würde er es wissen.
Unwillkürlich fasste Ulrich an seinen Gürtel. Dort steckte ein Schreiben, das ein Bote ihm am Morgen überreicht hatte. Es war seinem treuen Spion tatsächlich gelungen, den Brieffälscher ausfindig zu machen. Ironie des Schicksals, dass der Mann ausgerechnet in Rottweil
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