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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Martin
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völlig still. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Sie blickte zu der Bank, auf der Gertrud eben noch gelegen hatte. Tränen schossen ihr in die Augen, hastig wischte sie sie fort.
    »Ich komme wieder, mein Engel«, flüsterte sie.
    Ihr Blick fiel auf den Boden unter der Bank. Dort lag etwas Rotes – ein verknotetes Stück Stoff, mit dem Gertrud immer spielte. Sie hob es auf und hielt es an ihr Gesicht. Es duftete nach ihrer Tochter. Sie ließ es in ihr Bündel gleiten. Nachdem sie sich ein letztes Mal umgesehen hatte, verließ sie das Haus durch die Hintertür, die Gugel tief ins Gesicht gezogen.
***
    Was für ein Weichling! Wie konnte er in einem solchen Augenblick weglaufen? War er nicht der Herr im Haus? Von Säckingen spuckte auf den Boden. Dieser Füger hatte ihn fast umgerannt. Mit dem Kind auf dem Arm war er aus dem Haus gestürmt; sein Blick war fiebrig gewesen, fast wie bei einem Irren.
    Er kniff die Augen zusammen. Melisande war nun allein. Was sie wohl tat? Es kostete ihn einige Beherrschung, nicht hinüberzulaufen und durch die Fenster zu spähen. Nichts rührte sich. Auch die Straße war fast leer, weil die ganze Stadt zum Empfang des Landesherrn geeilt war. Zu dumm! Das machte es schwieriger, unbemerkt zu bleiben.
    Witikund, einer seiner Söldner, stieß zu ihm. »Melissa Füger hat das Haus durch die Hintertür verlassen«, berichtete er. »Sie hat ein Bündel dabei. Adam folgt ihr.«
    Von Säckingen runzelte die Stirn. »Will sie die Stadt verlassen?«
    Witikund zuckte mit den Schultern. »Sie hat nicht den direkten Weg genommen. Vielleicht will sie bei jemandem unterschlüpfen.«
    »Bei ihrer Freundin Irma.« Von Säckingen dachte nach. »Mag sein, dass sie sich verabschieden will. Oder sie möchte etwas in Irmas Obhut zurücklassen. Aber sie kann nicht dort bleiben. Der Gemahl ihrer Freundin ist zwar recht weichherzig, aber er ist Mitglied im Stadtrat. Die weggelaufene Gemahlin eines anderen Mannes bei sich aufzunehmen, das würde er nicht wagen.«
    Witikund blickte verstohlen die Straße auf und ab. »Was sollen wir tun?«
    »Lasst sie nicht aus den Augen. Erstattet mir Bericht. Ich bleibe vorerst in der Stadt.« Von Säckingen tastete mit der Hand nach dem Dolch, der unter seinem Umhang verborgen am Gürtel hing. »Ich habe noch etwas zu erledigen.«
***
    Melisande klopfte leise an die Haustür. Sie wagte kaum zu hoffen, dass ihre Freundin daheim war, sicherlich stand sie mit den anderen Jubelnden bei der Liebfrauenkirche. Doch sie hatte Glück. Irma öffnete.
    Melisande drängte sich ins Haus. »Bist du allein?«, flüsterte sie.
    Irma hob erstaunt die Augenbrauen. »Bis auf meinen Sohn ist niemand hier. Sie sind alle fort, um den Grafen zu sehen. Mir war nicht wohl, deshalb bin ich im Haus geblieben.«
    Melisande griff nach Irmas Händen. »Irma, du bist der einzige Mensch, dem ich noch vertrauen kann. Gebe Gott, dass ich mich nicht täusche.«
    Irma sah sie erschrocken an. »Aber Melissa, was ist denn los? Hat es mit dem Kleid zu tun, von dem du erzählt hast? Hast du dich mit Wendel gestritten?«
    Melisande seufzte. »Das auch.«
    Irma drückte ihre Hände. »Das wird schon wieder. Männer sind manchmal eigen. Man muss sie zu nehmen wissen. Es ist genau wie bei störrischem Vieh.« Sie lachte ihr perlendes Lachen, das Melisande immer an das Lachen ihrer toten kleinen Schwester erinnerte.
    »Leider ist es mehr als das«, sagte sie. »Hör zu, es ist ernst. Todernst.«
    Irma verging das Lachen, aber sie ließ Melisandes Hände nicht los, sondern hielt sie nur noch fester. »Lieber Himmel, was ist denn los?«, flüsterte sie.
    Melisande holte tief Luft. »Es kann sein, dass du in den nächsten Tagen ungeheuerliche Dinge über mich hören wirst. Manches davon wird wahr sein, das meiste jedoch erfunden und erlogen. Ich muss Rottweil für einige Zeit verlassen, aber ich bleibe in der Nähe. Ich werde in Sulz unterkommen, mich dort unter einem anderen Namen in der Herberge ›Zum Lamm‹ einmieten. Maria von Felsenbrunn, so werde ich mich nennen. Kannst du dir das merken?«
    Irma riss erstaunt die Augen auf.
    »Bitte, stell keine Fragen, Irma. Je weniger du weißt, desto besser für dich. Ich bitte dich nur, mir zu vertrauen.« Sie sah ihre Freundin mit festem Blick an. »Und nicht alles zu glauben, was man dir über mich erzählt.«
    »Ich verspreche es.« Irmas Gesicht war so ernst, wie Melisande es nie zuvor gesehen hatte.
    Erleichtert seufzte Melisande. Sie hatte befürchtet, ihre gutmütige,

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