Die Tränen der Justitia (German Edition)
gespannt, was mit ihm ist.»
«Es geht um eine Drohung, die Sie damals vor Gericht gegen ihn ausgesprochen haben.»
«Dass ich mich an ihm rächen werde? Das ist lange her, Herr Kommissär. Ich bin inzwischen geläutert. Die Jahre im Gefängnis waren eine Probe, die mir Gott auferlegte, weil ich gesündigt habe.»
«Sie meinen damit die Morde?»
«Ich konnte das von Gott auferlegte Werk nicht vollenden. Ein Engel sprach zu mir: ‹Reinige die Stadt von allem Unrat.› Doch ich versagte. Der Teufel war schnell zur Stelle und ich konnte ihm nicht entkommen.»
«Sprechen Sie von Jakob Borer?»
«Namen sind Schall und Rauch. Sehen Sie nach draussen, Frau Kupfer. Das Böse überzieht wie eine giftige Wolke die Stadt. Es schleicht sich von Haus zu Haus, von Familie zu Familie. Und alles nur, weil ich vor Jahren mein Werk nicht vollenden konnte.»
«Aberjetzt sind Sieja wieder draussen und können dort weitermachen, wo Sie aufgehört haben», setzte Nadine nach.
Kaltenbach seufzte tief.
«Die Macht des Bösen nimmt überhand. Was kann da ein Einzelner tun? Irene und ich, wir beten jeden Tag, dass uns unser Schöpfer die Kraft gibt, dagegen anzukämpfen ... Ah, danke, Irene.»
«Aber Sie geben nicht auf, oder?»
«Niemals! Es ist unsere heilige Mission, Basel von allem Abschaum zu reinigen.»
«Und wer genau ist Ihrer Meinung nach Abschaum, etwa Ausländer und Prostituierte?»
Oh, oh, das geht schief. Ich kenne diesen Unterton nur zugut. Ferrari rutschte unruhig hin und her. Wenn ich jetzt nicht dazwischen gehe, fliegen bald die Fetzen.
«Jeder ist ausserhalb seiner Heimat ein Ausländer, Frau Kupfer. Davon spreche ich nicht. Es geht um das Gute und das Böse. Wir haben eine Vereinigung gegründet und viele unserer Schwestern und Brüder aus anderen Ländern denken wie wir. Gemeinsam ziehen wir in diese letzte Schlacht. Der Ausgang ist ungewiss und liegt in Gottes Hand. Wir werden siegen oder untergehen. Etwas dazwischen gibt es nicht.»
«Und Jakob Borer gehört zu den Bösen, nicht wahr?»
«Er wurde vom Teufel auserkoren, mit seinen Legionen das Gute zu vernichten. Wir müssen ihm zuvorkommen, ihm und seiner Brut! Damit auf Erden wieder Frieden einkehrt.»
Nadine lief rot an. Bis zur Explosion konnte es nicht mehr lange dauern. Unwillkürlich zog der Kommissär den Kopf ein.
«Man müsste wohl eher Sie und Ihre Brut einsperren.»
«Noch einmal wird das niemandem gelingen. Ich habe meine Lektion gelernt. Glauben Sie mir, es war eine harte Prüfung. Nun bin ich bereit, und dieses Mal wird es gelingen. Meine Schwestern und Brüder helfen mir. Es ist Zeit für einen Neubeginn, für eine saubere, reine Welt, die hier und jetzt beginnt.»
«Ohne Nutten und Zuhälter.»
«Sie sagen es. Und ohne den Teufel und seine Handlanger, Frau Kupfer.»
«Was tun Sie seit Ihrer Entlassung, Herr Kaltenbach?», schaltete sich der Kommissär ein, sichtlich bemüht, etwas Ruhe in das Gespräch zu bringen.
«Ich predige.»
«Und was genau predigen Sie?»
«Das, was mir ein Engel in der Nacht eingibt.»
«Können Sie davon leben?»
«Irene sowie meine Schwestern und Brüder unterstützen mich. Ich führe ein bescheidenes Leben, ich brauche nicht viel. Nun möchte ich Ihnen aber auch eine Frage stellen. Wie geht es Jakob Borer?»
«Gut. Weshalb fragen Sie?»
«Es geht ihm schlecht, Herr Kommissär. Es geht ihm sogar sehr schlecht, denn er hat keine ruhige Minute. Er weiss, dass ihn das Gute einholen und vernichten wird. Man begegnet sich immer zwei Mal im Leben», zischte Kaltenbach, plötzlich wie verändert. «Hoffentlich krepiert er! Nein, besser noch, hoffentlich leidet er. Jede Nacht betete ich, dass mich Gott leben lässt und mein Flehen erhört, damit ich eines Tages meinen Rachefeldzug beenden kann. Nicht nur gegen die Huren auf der Strasse, sondern auch gegen die Zuhälter und all jene, die sich uns in den Weg stellen.»
«Wie Borer?»
«Exakt. Es wäre für ihn ein Leichtes gewesen, eine mildere Strafe zu beantragen. Aber was tat er? Er forderte die Höchststrafe. Und wofür? Meinen Sie etwa, nach diesen unnützen Huren kräht irgendein Hahn? Bestimmt nicht. Doch Borer wollte mich aus dem Verkehr ziehen. Nicht um der Gerechtigkeit willen, sondern um seinen teuflischen Ehrgeiz zu befriedigen. Aber jetzt bin ich wieder da. Und er wird leiden, unendlich leiden!»
«Er und seine ganze Familie, bis ins letzte Glied.»
Kaltenbach blickte irritiert auf und verfiel dann wieder in seinen sanften Anfangston.
«Die
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