Die Tränen der Justitia (German Edition)
gerechte Strafe wird ihn und seine Familie ereilen.»
«So wie im Alten Testament.»
«Sie kennen sich in der Bibel aus, Frau Kupfer?» Ohne eine Antwort abzuwarten, griff Kaltenbach unter den Tisch, kramte eine alte, abgegriffene Bibel hervor und begann zu lesen: «Euer Land ist wüst, eure Städte sind mit Feuer verbrannt; Fremde verzehren eure Äcker vor euren Augen, und es ist wüst wie das, so durch Fremde verheert ist. Was noch übrig ist von der Tochter Zion, ist wie ein Häuslein im Weinberge, wie die Nachthütte in den Kürbisgärten, wie eine verheerte Stadt. Wenn uns der HERR Zebaoth nicht ein weniges liesse übrigbleiben, so wären wir wie Sodom und gleich wie Gomorra. Höret des HERRN Wort, ihr Fürsten von Sodom! Nimm zu Ohren unsers Gottes Gesetz, du Volk von Gomorra!» Nach einer Pause ergänzte Kaltenbach. «Unsere Stadt ist verseucht. Die Huren und Zuhälter, die Borers dieser Welt, das sind die Fremden, die unsere Äcker verzehren. Basel ist wie Sodom und Gomorra! Aber wir reinigen unsere Stadt, auf dass wir wieder stolz sein dürfen.» Kaltenbachs Augen glühten. «Sie … Sie zwei sind vom Bösen infiltriert. Kehren Sie um, bevor es zu spät ist.»
Nadine stand auf.
«Sie haben doch einen an der Waffel!»
«Aus Ihnen spricht der Teufel!»
Kaltenbach bekreuzigte sich.
«Dann wird Ihnen der Teufel jetzt etwas mit auf den Weg geben. Borer gehts schlecht. Das stimmt. Verdammt schlecht sogar. Sollten wir herausfinden, dass Sie dafür verantwortlich sind, werde ich Ihnen Nacht für Nacht erscheinen. Nicht etwa als Engel, sondern als Inkarnation des schlimmsten Albtraums. Von diesem Moment an werden Sie keine ruhige Minute mehr haben. Das verspreche ich Ihnen.»
«Sie sind Borers Geschöpf!», schrie Kaltenbach. «Aber er wird mich nicht kleinkriegen. Niemals! Niemals!»
Ferrari erhob sich kopfschüttelnd. Das war des Guten zu viel. Eindeutig. Als sie die Wohnung verliessen, folgte ihnen Irene Kaltenbach.
«Kann ich Sie einen Augenblick sprechen? Allein.»
«Ja, natürlich. Wo sollen wir auf Sie warten?»
«Ich komme in fünf Minuten runter in den Hinterhof. Die Tür ist offen.»
Ferrari setzte sich an den Gartentisch.
«Was hat sich der Psychiater dabei gedacht, als er Kaltenbach laufen liess?»
«Das frage ich mich auch, Nadine. Puh. Das war ein starkes Stück. Was hat er genau gesagt? Borer und seine Brut müssen vernichtet werden, damit Frieden einkehre?»
In dem Moment kam Irene Kaltenbach gehetzt aus dem Haus.
«Ich kann nicht lange bleiben. Ich möchte mich für Tonis Benehmen entschuldigen. Es wird immer schlimmer. Er sitzt den ganzen Tag vor dem Fernseher und schaut Bibel TV und am Sonntag die Fernsehpredigten. Wenn er mal eine Pause macht, liest er die Bibel. Er kennt sie praktisch auswendig und verlangt, dass wir streng nach der Bibel leben. Er ist wie im Fieberwahn.»
«Und seine Anhänger? Die Schwestern und Brüder?»
«Alles nur Hirngespinste. Es gibt keine Gleichgesinnten. In der Nacht spricht er mit sich selbst und am Morgen hält er mir dann einen Vortrag darüber, was er und seine Jünger alles vorbereitet hätten.»
«Ist er noch in psychiatrischer Behandlung?»
«Der Psychiater, Doktor Meier, hält ihn für gesund. Kein Wunder. Vor ihm zieht Toni eine Show ab. Darin ist er Weltmeister. Ich habe ihn mehrmals angerufen, doch vergebens. Meier glaubt Toni, und nicht mir. Können Sie nicht mit ihm reden? Hier ist seine Nummer.»
«Danke. Wir rufen ihn an.»
«Was ist eigentlich der Zweck Ihres Besuches?»
Ferrari überlegte, welche Details er preisgeben wollte.
«Wir sind auf der Suche nach einem Baby.»
«Etwa das entführte Kind? Ich habe es gestern im Radio gehört.»
«Ja. Ein neunmonatiges Mädchen.»
«Ist es Borers Tochter?»
«Nein. Wir dürfen Ihnen nicht sagen, um wen es sich handelt. Aber einiges deutet darauf hin, dass Ihr Bruder die Entführung inszeniert hat.»
«Mein Gott!»
«Sie sagen, dass er immer zu Hause sitzt. Und wenn er einmal weggeht?»
«Dann trifft er sich mit Kollegen von früher. Meistens im Alten Warteck.»
«Gleichgesinnte?»
«Ähnlich Gesinnte.»
«Aus reinem Interesse, wussten Sie eigentlich damals, dass Ihr Bruder Jagd auf Prostituierte macht?»
«Ich … ich …», Irene Kaltenbach zögerte. Sie schaute zuerst Ferrari und danach Nadine eindringlich an, bevor sie kleinlaut fortfuhr: «Ich habe ihn dazu angestiftet. Ich war zu jener Zeit Mitglied in einer religiösen Vereinigung …»
«Einer Sekte?»
«Einer
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