Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
zurückzogen, höchstens mit ein paar Neckereien rechnen mussten. Sie würde in Verruf kommen, wenn sie sich Richard an den Hals warf, und er würde das auch nicht mitmachen, er war zweifellos ein Gentleman.
Atamarie tröstete sich mit dem gemütlichen Bett, das sicherlich viel bequemer war als das Strohlager im Schuppen. Es gab sogar warmes Wasser, und Atamarie nahm sich viel Zeit, sich von den Schlammresten zu befreien und außerdem ihr Haar zu waschen. Sie würde am kommenden Morgen besonders hübsch aussehen. Vielleicht sah sie dann ja endlich das ersehnte Aufleuchten in Richards Augen, wenn sein Blick sie streifte.
Am nächsten Tag regnete es nicht gar so intensiv. Zwischendurch klarte es sogar auf, und die Poukai-Gebirgskette, beherrscht von dem schneebedeckten Gipfel des Mount Taranaki,kam in Sicht. Der Anblick war atemberaubend, die meisten Expeditionsteilnehmer verloren sich völlig in der Betrachtung der majestätischen Gipfel vor dem tiefblauen Himmel. Ein glasklarer Fluss tanzte von den Bergen herab, sprang über Felsen und durchzog das grüne Vorland, über das Dobbins an diesem Tag seine Gruppe führte. Selbst Richard Pearse unterbrach beim Durchreiten des lebhaften Gewässers die Unterhaltung, die er mit Atamarie über Automobile führte. Das erste dieser neuartigen Fahrzeuge war vor kurzem in Neuseeland eingeführt worden, aber beide hatten es noch nie gesehen, sondern nur theoretisch die Technik studiert.
»Die Gegend ist außerordentlich ansprechend!«, sagte Richard und wies auf den Mount Taranaki. »Vor allem dieser Berg ist faszinierend. Ein Vulkan, nicht wahr? Ist da noch mit Ausbrüchen zu rechnen? Wir sollten vielleicht anregen, Seismografen aufzustellen und die Erdaktivität zu beobachten …«
Atamarie seufzte. Sie hatte mit etwas euphorischeren Reaktionen auf den Anblick des heiligen Berges gerechnet und vielleicht auch mit etwas Romantik. Andere Menschen regte der Taranaki schließlich zu regelrecht lyrischen Äußerungen an, und Atamarie hätte sich gut vorstellen können, dass ein verliebter junger Mann zum Beispiel Vergleiche zwischen seiner Angebeteten und der Göttin Pihanga anstellte. Aber auf Schmeicheleien dieser Art hoffte sie eigentlich schon den ganzen Tag.
Sie hatte sich morgens im Spiegel betrachtet und war zufrieden mit ihrem Aussehen gewesen. Ihre Haut war rosig nach dem Ritt durch den Regen am Tag zuvor und dem darauf folgenden erholsamen Schlaf. Sie duftete nach den Rosenblättern, die ihre aufmerksame Gastgeberin zwischen die Laken ihres Bettes gestreut hatte, ihr frisch gewaschenes blondes Haar glänzte. Atamarie tat es fast leid, es auszukämmen und zu flechten, aber natürlich musste die Frisur für den langen Rittpraktisch sein. Ihr Reitkleid war noch feucht und schmutzig, also entschloss sie sich, das neuere und hübschere Ersatzkleid anzuziehen. Wobei es sich nicht wirklich um Kleider handelte, sondern eher um Oberteile und weite Hosenröcke. Kathleen Burton hatte sie für ihre Enkelin entworfen, die absolut nicht im Damensitz reiten wollte. Nachdem weite Hosen inzwischen auch für Radsportlerinnen durchaus en vogue waren, hatte es sich nicht als schwierig erwiesen, die Schneiderin zu überzeugen.
Das neue Kleid war dunkelblau und schmeichelte Atamaries zierlicher Figur und ihrem samtigen, dunklen Teint. Die Farmarbeiter, an denen sie vorbeischlenderte, reagierten auch gleich mit anerkennenden Pfiffen, und in den Augen einiger Studenten war ein lüsternes Glitzern zu erkennen, auch wenn sie schnell den Blick niederschlugen. Selbst Dobbins rang sich ein leutseliges »Hübsch sehen Sie aus, Miss Atamarie!« ab – nur Richard Pearse blieb ungerührt. Schließlich kommentierte er immerhin den Schnitt des Rockes: »Sehr praktisch, und sehr … elegant … wenn ich das so sagen darf. Es ist sehr geschickt, wie der Schnitt den Faltenwurf nutzt. Kennen Sie übrigens Nähmaschinen? Ich durfte letztes Jahr einer Demonstration der kleinen Geräte beiwohnen – hochinteressant!«
In den nächsten Stunden unterhielt er Atamarie mit Geschichten über den mechanischen Nadeleinfädler, den er als Junge für seine Mutter erfunden hatte, und beide stellten fest, dass sie schon als Kinder gern herumexperimentiert hatten. Richard hatte seiner Schwestern ein Zoetrop gebaut, und auch der Gedanke an bewegliche Bilder fesselte sowohl ihn als auch Atamarie. Es war äußerst unterhaltsam, mit ihm zu reisen.
Aber dennoch – so langsam wünschte sie sich mehr von Richard als
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