Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
die Hand zu reichen …«
Porter McDougal sah nicht aus, als ob er das für ein Privileg hielte, folgte den beiden aber tapfer den nächsten Berg hinauf. Lion Rock, ein Felsen zwischen See und Berg und ideal, um alle Landmarken zu überschauen.
Porter McDougal interessierten sie wenig, er schaute lieberübers Meer – der Ausblick vom Lion Rock über eine von pittoresk geformten Felsen begrenzte Bucht war hinreißend. Atamarie dachte kurz daran, dass dies wohl die ideale Kulisse für einen ersten Kuss wäre, aber Richard machte nur eine Notiz in einer der Karten und begann, seine Aufzeichnungen mit denen Atamaries zu vergleichen. Immerhin freute sie sich, dass er sie immer wieder nach den Namen der Berge und Flüsse auf Maori fragte und sie gewissenhaft eintrug, wenn Atamarie sie wusste. Richard mochte den Geist von Parihaka ebenso wenig spüren wie Atamarie, aber er konnte zuhören und hatte schon in der kurzen Zeit im Maori-Dorf begriffen, worauf es ihnen bei der Wahrung ihres Erbes ankam.
Dann sah Atamarie jedoch etwas, das sie zuerst an eine Luftspiegelung, dann an Geister denken ließ – bevor ihr das Blut in den Adern gefror. Auf einem Felsen gegenüber des Lion Rock erhob sich ein großes vogelartiges Wesen. Es wirkte statisch, flach, aber dennoch blitzte eine Art Gesicht auf, bevor es sich zu drehen und zu wenden begann. Es sah fast aus, als verbeuge es sich vor dem Himmel oder tanze einen haka . Und tatsächlich, Atamarie meinte fast, Wort- oder Liedfetzen zu vernehmen, die der Wind herübertrug. Und sie bildete es sich nicht ein, auch Richard hob lauschend den Kopf. Gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie sich das Ding in Bewegung setzte und in offensichtlicher Selbstmordabsicht auf die Klippe zubewegte.
»Richard, sieh!«
Atamarie griff entsetzt Richards Arm – aber dann, als das Gebilde über die Klippe hinaussprang und gleich darauf vom Wind erfasst wurde, erkannte sie, worum es sich handelte: einen Drachen, einen überdimensionaler manu in traditioneller Form. Diese Drachen stellten eine Art Zwischending zwischen Mensch und Vogel dar, eine beliebte Version des Maori-Kites. Aber dieser hing nicht an Schnüren. Es gab niemanden, der ihn fliegen ließ …
»Ein Segelflugzeug!«, sagte Richard verblüfft. »Aber so kann es nicht funktionieren, es wird abstürzen. Die Flügelspannweite passt in den Dimensionen nicht zu …«
»Wäre aber gut, wenn es trotzdem flöge«, bemerkte Porter, der schon nach seinem Fernrohr gegriffen hatte. »Da hängt nämlich ein Mann dran!«
Atamarie sah es jetzt auch. Ein Windstoß nahm den Drachen auf und ließ ihn tatsächlich segeln. Der Mann hing an seinem Drachen wie ein Gekreuzigter – und womöglich hatte er sich sogar festgebunden.
»Er hebt ab!«, rief Atamarie, wider Willen fasziniert. »Es geht doch, er hebt ab … Er … ob er lenken kann?«
Richard schüttelte den Kopf. »Er kann nicht mal wirklich segeln. Die Flügel sind zu klein, und die Form ist nicht ideal. Für Kinderdrachen ist sie gut, aber sie trägt das Gewicht des Mannes nicht. Zumal, wenn er sich bewegt, dann gerät das Ding gleich ins Trudeln … Und die Startgeschwindigkeit …«
Atamarie hörte nicht hin – sie rannte schon den Berg hinunter, als sie sah, dass Richard Recht hatte. Der Drachen war gut gestartet, vielleicht dank eines günstigen Windstoßes, doch er hielt sich nicht in der Luft. Der Auftrieb reichte nicht – aber immerhin hatte ihn der günstige Start ein kleines Stück von der Klippe weggetrieben. Und auch jetzt fiel das Fluggerät nicht wie ein Stein, sondern trudelte – ganz wie Richard gesagt hatte. Mit sehr viel Glück konnte der Mann den Sturz ins Meer überleben.
Atamarie warf einen raschen Blick zurück auf Richard und Porter, die beide wie hypnotisiert auf den abstürzenden Flieger starrten.
»Was macht ihr denn? Kommt, wir müssen den Mann retten!«, rief sie den beiden zu.
Richard erwachte daraufhin aus seiner Starre und machte sich ebenfalls an den Abstieg.
Porter ließ es eher ruhig angehen. »Der ist sowieso tot, wenn er unten ankommt«, meinte er.
Atamarie tippte sich noch im Laufen an die Stirn. Woran sollte der Mann in der Luft wohl sterben? Gefährlich war nur der Aufprall aufs Wasser – und die Wellen in der Bucht. Sie rannte den Hang in gefährlichem Tempo hinunter, aber es musste schnell gehen. Wenn der Flieger wirklich an das Gestell gebunden war, würde er womöglich ertrinken, bevor er sich befreien konnte. Und selbst wenn er
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