Die Tränen der Massai
eine monströse Maske wirken ließen.
Der Gestank war beinahe unerträglich. In der heißen, stickigen Enge der Hütte hätte Malaika sich beinahe übergeben und fühlte sich zu elend, um sich auch nur abzuwenden. Dann bewegte sich die Person. Sie schlang Malaika einen Arm um die Schultern. Sie packte Malaikas Haar.
Malaika schrie.
Jack zog sie heraus und half ihr auf die Beine. Malaika schob ihn weg und übergab sich. Er hielt ihre Schultern, bis sie aufhörte zu würgen. Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie spuckte und hustete. Sie schaute zurück zur Hütte. Die Füße regten sich nicht.
Sie wischte sich Mund und Stirn mit dem Taschentuch ab, das Jack ihr anbot. »Oh … oh … Jack! Dieser arme … Mensch.« Sie schauderte. »Ich kann es einfach nicht glauben. Was für ein Ort ist das? Wie kann so etwas … Ein Ort, an dem ein Mensch nicht einmal mit einem Hauch von Würde sterben kann?«
»Schon gut … schon gut …«, sagte Jack, tätschelte ihre Schulter und hielt sie fest. »Hol tief Luft.«
Langsam löste sie sich aus seinen Armen.
»Komm. Wir sollten weitersuchen.«
Sie nahm seine Hand, als sie den felsigen Hang zum bewachsenen Teil der Insel hinuntergingen.
An der ersten Hütte nahe dem Strand stellte Malaika erleichtert fest, dass die Bewohnerin vor ihrer Unterkunft lag. Zwei andere Frauen saßen ebenfalls dort. Eine fächelte der Kranken mit einem Palmwedel Luft zu.
Malaika drücke Jacks Hand, dann ging sie näher heran. Der Mund der liegenden Frau war schmerzlich verzogen. Sie hechelte eher, als dass sie atmete. Malaika seufzte. Woher sollte sie wissen, ob sie ihre Schwester vor sich hatte oder nicht? Diese Frau hätte siebzehn oder sechzig sein können. Sie kam zu dem Schluss, dass die Suche Zeitverschwendung war.
Malaika wollte weitergehen, als sie den Halsschmuck der Frau mit dem Palmwedel bemerkte. Es war ein Malachitstein von der Größe einer Erbse, der zwischen jeweils drei roten Handelsperlen auf ein Stück Angelschnur gefädelt war. Malaika starrte die Trägerin an und befürchtete, dass die Halskette, die sie ihrer Schwester gegeben hatte, bevor sie Mwanza verließ, gestohlen worden war. Oder war es möglich, dass … »Ziada?«
Die junge Frau reagierte nicht, aber Malaika schaute ihr in die Augen – sie waren ein wenig verträumt, wie damals, als Ziada noch ein Kind gewesen war.
»Ziada? Ich bin es, Malaika.«
Langsam drehte sich die junge Frau zu ihr um. Sie öffnete und schloss den Mund. Lautlos formte sie das Wort »Malaika«.
Malaika hätte ebenso gut eine Schlafwandlerin vor sich haben können, die den Mond anstarrte. O Ziada, dachte sie. Sieh dich nur an! Dein Gesicht – es ist so schmal. Und dein Haar … vollkommen verfilzt. Dann bemerkte sie Ziadas Haut. Sie war verfärbt, und es gab eine Reihe kleiner Wunden, von den Handgelenken bis zu den Ellbogen, und andere an ihrem Hals und den Wangen. O mein Gott … o mein Gott.
»Ziada. O mein
kidogo!«
Sie benutzte den Spitznamen aus ihrer Kindheit.
»Malaika …«, flüsterte Ziada.
»Jack! Sie ist es! Ich habe Ziada gefunden.«
Sie wandte sich wieder ihrer Schwester zu und umarmte sie, aber sie musste die Umarmung lösen, als Ziada anfing zu husten. Nachdem der Anfall vorüber war, nahm Malaika sie an der Hand. »Ziada … hör mich an. Wir bringen dich hier weg.«
»Weg?«
»Ja. Zurück nach Hause.«
»Nach Hause? Nein!« Sie zog die Hand zurück. »Nein! Nein!«
»Ziada, hör zu. Das hier ist kein Platz für dich. Es ist nicht gut, dass du hier bleibst. Wir haben ein Boot.« Sie zeigte auf Jack, der näher zur Hütte gekommen war. »Siehst du, wir bringen dich nach Hause. Zu Mama.«
»Ich will nicht nach Hause. Ich halte das nicht aus.« Sie schob Malaikas Hände von sich weg. »Ich gehe nicht nach Hause.« Sie wurde immer verzweifelter und begann zu weinen.
»Ziada, still. Wir finden Hilfe für dich. Dieser Ort ist nicht gut für dich.«
Wieder begann Ziada zu husten. Als der Anfall vorüber war, wartete sie einen Augenblick und sammelte ihre Kraft. Sie setzte sich aufrecht hin und sah Malaika trotz ihres gebrechlichen Zustands entschlossen an. »Malaika«, sagte sie mit tränenfeuchten Augen, »ich werde lieber hier sterben, als wieder nach Mwanza zu gehen!«
»Aber warum, Ziada? Warum?«
»Sieh mich an.« Sie hob die Arme.
Erneut betrachtete Malaika die Geschwüre ihrer Schwester. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Siehst du? Du verstehst es nicht. Und du kannst es auch
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