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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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ließ sich auf einer anderen Baumwurzel nieder. »Wenn du meinem Rat gefolgt wärest, hättest du inzwischen eine zweite Frau.«
    Seggi sah ihn verärgert an.
    »Nun, ich meine selbstverständlich, dass sie bei der Geburt helfen könnte.«
    »Die Hebamme ist bei ihr«, fauchte Seggi. Er bedauerte, nicht nach seiner Mutter geschickt zu haben, damit sie bei der Entbindung half, aber er wusste, dass Naisua diese zweite Schwangerschaft ablehnen würde. Ich werde
Ngai
preisen, wenn es ein Junge ist, dachte er. Sein Stirnrunzeln wurde heftiger. Es war schwierig, ein Ältester und damit für alle möglichen komplizierten Entscheidungen verantwortlich zu sein. Wie sehr er sich wünschte, immer noch ein
Morani
sein zu können wie Mengoru, unterwegs zu Überfällen oder zu irgendwelchem anderen Unfug!
    »Mein Gott!«, murmelte Mengoru.
    Seggi sah, dass der andere Mann aufstand, und folgte seinem Blick nach Norden. »Was ist denn?«, fragte er, kam unter dem Baum vor und stellte sich neben Mengoru.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Es ist keine Gewitterwolke. Sie hat eine seltsame Farbe …«
    Mengoru ging einen Schritt weiter. »Ich glaube, es kommt auf uns zu.«
    »Hör nur!« Seggi hob die Hand, damit der andere schwieg. »Hör nur!«
    Mengoru warf einen Blick zurück zu Seggi, der die Hand ans Ohr gelegt hatte und nun konzentriert die Baumwurzel anstarrte. »Was ist denn?«, fragte er.
    »Da! Hast du das gehört?«, fragte Seggi.
    »Ich habe nichts gehört!«
    »Warte. Der Wind weht es heran.«
    Die dünnen Äste der Euphorbie klapperten, und die Männer wechselten einen Blick. »Hast du es diesmal gehört, Mengoru?«
    Mengoru nickte. »Aber ich glaube nicht, was ich gehört habe.«
    »Es hört sich an wie viele Schlangen, oder?«
    »Ah, Seggi!«, stotterte Mengoru. »Was redest du da? Manchmal bist du …« Er wandte sich wieder der Wolke zu. »Sie verändert die Farbe! Siehst du?« Er zeigte auf die Wolke. »Schwarz in der Mitte. Braun am Rand. Sogar rot.«
    Das Zischen wurde lauter, und die Wolke stieg höher auf.
    Das Zischen wurde zu einem Surren.
    Eine Heuschrecke traf Seggi an der Wange. Eine andere traf ihn an der Brust. Tausende von stockdünnen Beinen und brüchigen Flügeln hagelten auf die Männer nieder. Das Geräusch war nun wie ein Windstoß in trockenem Laub, knisternd und raschelnd. Die Männer fuchtelten mit den Armen, versuchten, die Heuschrecken wegzuschlagen, aber immer mehr Insekten stießen gegen sie, flogen ihnen in den Mund und stachen ihre Haut.
    Ein unheimliches Zwielicht senkte sich über die Savanne, als die Heuschreckenwolke die Sonne verdeckte.
    Seggi hörte einen leisen Schrei und wandte sich dem
Enkang
zu. Penina kam durch den Heuschreckensturm gerannt. Sie versuchte, ihr Gesicht mit den Armen zu schützen, als sie auf ihren Vater zutaumelte.
    Seggi rief: »Nein! Penina! Das
Boma!
Bleib stehen!«
    Der Lärm war ohrenbetäubend. Zusätzlich zu dem Surren und Knistern der Insekten erklang nun auch ein tiefes Grollen.
    »Papa! Papa!« Ihre Stimme wurde von dem Wirbel von Geräuschen beinahe übertönt.
    »Penina!«, schrie er, aber schon war sie in die Barriere aus spitzen Akaziendornen gefallen. »Mengoru! Komm mit! Hilf mir!«
    Seggi rannte durch das
Boma
-Tor und war einen Augenblick später bei seiner Tochter. Er stieß die Hände in die Dornen, um zu verhindern, dass Penina weiterhin um sich schlug. »Ganz ruhig, Kind. Ich ziehe dich raus. Rühr dich nicht.« Er arbeitete hektisch an den Dornen. »Mengoru!«, rief er.
    Das Grollen wurde lauter, und nun verstand Seggi, woher es kam. Es ließ den Boden unter seinen Füßen beben. Das Donnern raste durch die wimmelnden Heuschrecken auf sie zu. Seggi wusste, dass ihm nur wenig Zeit blieb.
    »Papa! Papa!«, weinte Penina.
    »Still, Penina, ich hab dich schon. Ganz ruhig, Kleines!«
    »Papa! Tante sagt …« Sie spuckte eine Heuschrecke aus.
    »Still, Penina. Erzähl es mir später, sonst kriegst du noch mehr in den Mund.«
    »Papa! Tante sagt, du musst sofort kommen. Komm schnell. Meine Mutter … das Baby …«
     
    Naisua war erschüttert, als sie die Heuschreckenwolke sah. Es war Jahre her, seit sie so etwas erlebt hatte. Und dieser Schwarm war größer als der letzte. Viel größer. Er fegte durch das Grasland vom Horizont zur Böschung wie ein riesiger Geier, schwarz und grau, hässlich und gefährlich. Eine rotbraune Staubwolke stieg auf und verband sich damit. Er war direkt vor ihr, raste von Isuria aus auf sie zu.
    Das Dorf war noch eine

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