Die Tränen der Massai
breit, aber sie war erschöpft, als sie tretend die nächste Insel erreichte. Ihr Mut ließ nach, als sie vor dem letzten Kanal stand – er war noch breiter und tiefer und hatte eine stärkere Strömung als die anderen beiden Kanäle.
Sie zog sich das Überkleid von den Schultern und entblößte ihre flachen, hängenden Brüste. Sie begann, auch ihr unteres Gewand abzuwickeln. Sie war schon seit vielen Jahren nicht mehr außerhalb ihrer Hütte nackt gewesen. Nachdem sie sich verlegen umgesehen hatte, zog sie auch das untere Gewand aus und wickelte beide um das Holzfloß.
Ein Schauder lief über ihren schmalen Körper, als sie durch das Treibgut in den Kanal mit der heftigen Strömung stieg. Sie hatte beinahe die Hälfte der Strecke hinter sich, als sie in ein Loch trat und die Strömung sie umriss. Das Wasser trug sie mit erschreckender Geschwindigkeit flussabwärts. Sie erstarrte vor Angst und klammerte sich an das Floß, während das Wasser sie herumwirbelte. Sie nahm all ihre Entschlossenheit zusammen, streckte sich und begann, wieder auf das gegenüberliegende Ufer zuzuschwimmen.
Mitten in der Strömung stieß ihr Fuß auf etwas Großes, Ledriges. Keuchend zog sie die Beine an, aber dadurch wurde sie unter das Floß gezogen. Sie wagte einen weiteren Tritt.
Das Flusspferd brach unter ihr aus dem Wasser, und es schien, als höbe sich die gesamte Flussoberfläche mit ihm. Naisua rutschte vom Rücken des Tiers, von seinem fetten Hinterteil in sein Kielwasser, das sie wieder in die Strömung drückte. Das Flusspferd sackte zurück in die Tiefe, wo es, wie sie fürchtete, nach den baumelnden Beinen suchte, die heimlich in sein Territorium eingedrungen waren.
Als sie einen weiteren Tritt wagte, spürte sie den sandigen Flussboden und kletterte ans Ufer.
Die Böschung bei Isuria ist nur eine weitere Welle in der gequälten Topografie des ostafrikanischen Grabenbruchs. Anders als der Mau-Steilabbruch und die steilen Anhöhen in der Nähe von Limuru, die sich direkt zu den Gipfeln erhoben, zog sich diese Böschung in Abschnitten in eine nur wenig beeindruckende Höhe.
Das Massaidorf darunter war selbst für ein
Enkang
bescheiden. Etwa zwanzig Hütten klammerten sich an eine felsige Falte in dem von den benachbarten Hirten kaum für fruchtbar gehaltenen Grasland. Aber nach Jahren der Wanderung durch das Great Rift Valley auf der Suche nach Weiden und Wasser war der Klan, der sich dort niedergelassen hatte, froh gewesen, es gefunden zu haben.
Andere Massaistämme im Mara-Bereich waren erstaunt über die Entscheidung ihrer Nachbarn. Vielleicht hatte ihr Klanführer in seiner Weisheit in Isuria etwas gesehen, das sie nicht hatten erkennen können. Ihr Staunen verging mit der Zeit. Es bestand kein Zweifel daran, dass Seggi Kidongi ein gut aussehender Mann war und den Ruf hatte, in seiner Jugend ein großer Krieger gewesen zu sein. Aber er schien für einen
Laibon
und Anführer ein wenig schwer von Begriff. Alle in der Nähe waren übereinstimmend der Meinung, dass der Klan in Isuria bald Wohlfahrt, wenn nicht gar Mitleid brauchen würde.
Seggi ging schweigend um das
Boma
herum. Mengoru war an seiner Seite.
»Warum sorgst du dich, mein Freund?«
Dass Mengoru ihn so vertraulich ansprach, ärgerte Seggi. Mengoru war fünfzehn Jahre jünger als er. Es war beinahe unangemessen, dass sich Männer unterschiedlicher Altersgruppen überhaupt miteinander abgaben.
»Sie hat eine schwierige Geburt, Mengoru.«
»Schwierig? Was ist daran schwierig?«
Seggi setzte sich auf die Wurzel einer Euphorbie. Die Kandelaberäste warfen guten Schatten. Seggi pflückte einen Grashalm und schlitzte ihn mit dem Daumennagel auf. Mengoru ärgerte ihn aus einer ganzen Reihe von Gründen, vor allem, weil er offenbar die Probleme, die sich mit einer gewissen Verantwortung ergaben, nicht verstand. Seggi wollte einfach nur Ruhe und die Gelegenheit, nachzudenken.
»Eine gute Massaifrau hätte inzwischen längst einen Sohn für dich«, fuhr Mengoru fort. »Aber es wird bald vorüber sein. Dann wirst du lachen, weil du dir völlig umsonst Sorgen gemacht hast.«
»Nun, ich bete, dass es wirklich ein Sohn ist«, murmelte Seggi. Warum Mengoru so viel Zeit mit ihm verbrachte, war ihm ein Rätsel. Er war ein
Morani
und hätte eigentlich zusammen mit seiner Altersgruppe im
Manyatta
sein können – sein
sollen.
»Jeder Mann betet um einen Sohn, Seggi, aber es ist nicht notwendig, dass du dich auf so dumme Weise um deine Frau sorgst.« Mengoru
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