Die Tränen der Massai
wehte aus der Schlucht. Sie peitschte auf den Dschungel ein, riss kleine Äste ab und ließ einen Wirbelwind von Blättern auf die Männer niederregnen. Die Soldaten suchten Schutz, wo sie konnten, als sie von einer Salve stechender Tropfen überzogen wurden. Mengoru, der sich mit Drohungen und Schwindeleien den Rang eines Corporal verschafft hatte, saß auf einer Wurzel am Fuß einer riesigen Zeder, aber selbst ein Baum dieser Größe konnte den Regen nicht lange fern halten. Augenblicke später fielen die dicken Tropfen auch auf ihn. In seinem ganzen Leben war ihm noch nicht so kalt gewesen. Das Aberdare-Gebirge war kein Ort, an dem man sich während der langen Regenzeit aufhalten sollte. Man war ununterbrochen nass, die Wege waren verwildert, und manchmal bestand die einzige Möglichkeit, weiterzukommen, darin, sich durch den Busch zu hacken. Am Vortag waren sie stundenlang durch einen Bambuswald marschiert. Die Schäfte waren so dick wie ein Männerbein gewesen, und die rasiermesserscharfen Blätter sorgten dafür, dass alle Soldaten am Ende des Tages blutige Schnittwunden an Armen und Beinen hatten.
Mengoru konnte Patrouillendienst nicht ausstehen. Die Berge waren ein gefährlicher Ort. Drei Tage zuvor waren sie Verbündeten begegnet, einem Zug britischer Soldaten, die mit der Leiche einer ihrer Männer zurückkehrten. Nach Mengorus Ansicht, die er für sich behielt, war der Mann einem Löwenangriff zum Opfer gefallen. Ein paar Briten behaupteten, es wären die Mau-Mau gewesen, aber Mengoru wusste es besser. Seine alte Mau-Mau-Truppe wäre anders vorgegangen. Die Genitalien des Mannes waren intakt, und seine Haut war zwar zerfetzt, aber nach dem Zufallsprinzip. Mau-Mau-Folter war erheblich kunstvoller.
Die Patrouillen waren Zeitverschwendung. Die Mau-Mau waren stets einen Schritt voraus und flohen bereits Stunden, bevor die Home Guard eintraf, aus ihren Lagern. Mengoru störte das nicht; er wollte sich ohnehin nicht irgendwo im Dschungel mit Fanatikern anlegen müssen.
Er klappte den Mantelkragen hoch und zog die Mützenkrempe tiefer. Wasser tröpfelte auf seinen Schoß.
Der Offizier, ein großer, kräftiger Mann aus Yorkshire, der von der Armee zur Home Guard versetzt worden war, gab einen Befehl. Fünfzig nasse, verdreckte Männer kamen auf die Beine.
»Also gut, ihr Mistkerle! Hört gut zu.« Er wartete, bis auch die Letzten nahe genug herangekommen waren. »Wir haben Befehle. Wir suchen die Mau-Mau und alle, die sie unterstützen. Search and destroy. Ihr kennt euch aus. Wir fangen mit diesem verdammten Dorf an, an dem wir vor einer Weile vorbeigekommen sind. Mbakathi! Du gehst und kümmerst dich um die Gemüsegärten. Mengoru, du übernimmst das Dorf selbst. Webru, du und deine Männer, ihr kommt mit mir. Noch Fragen?«
Die Männer schulterten ihre Waffen.
»Also gut. Wir treffen uns am Basislager fünf. Wer bei Anbruch der Dunkelheit nicht zurück ist, kann sehen, wie er sich die Nacht über durchschlägt. Verstanden? Und jetzt verschwindet!«
Search and destroy. Mengoru war erfreut. Er war so etwas wie ein Search-and-destroy-Experte. Die Mau-Mau hatten ihn gut ausgebildet.
Die Home-Guard-Offiziere ignorierten das kleine Nebengeschäft, das Mengoru und seine Leute betrieben. Die Dörfer lieferten leichte Beute, und ein Überraschungsbesuch würde ihnen vielleicht nicht nur Vieh und ein wenig billigen Plunder, sondern vielleicht auch ein bisschen Unterhaltung liefern.
Die Mau-Mau hatten solche Einschüchterungstaktiken verwendet, um Kikuyus, die neutral bleiben wollten, dazu zu bewegen, dass sie sich ihnen anschlossen. Nun versuchten die Briten, das Gleiche zu tun. Aber das Leben bei der Home Guard war viel angenehmer, und Mengoru war zufrieden mit seinen Zukunftsaussichten. Es würde keine Vergeltung geben, wenn die britische Seite unvermeidlich den Krieg gewann. Die Mau- Mau waren erledigt. Deshalb war er desertiert. Nun, da Kenyatta sich öffentlich von ihnen distanziert hatte, würden sie nie an die Macht kommen. Selbst wenn Kenyatta das, wie alle annahmen, nur getan hatte, um seine mächtigen Anhänger in Übersee zufrieden zu stellen, konnte er, sobald er an der Regierung war, sein Wort nicht mehr brechen. Die Mau-Mau hatten den Kampf um die Unabhängigkeit angeführt, aber nun waren sie zu würdeloser Unwichtigkeit verdammt.
Als sich Mbakathis Männer von ihnen trennten, um die Gärten zu zerstören, eilte Mengorus Truppe in schnellem Trab weiter zum Dorf. Der Alarm erklang, und zwei junge
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