Die Tränen der Massai
er schließlich zum Stehen gekommen war, hinausfuhr.
»Wie geht es ihr?«, fragte er, ohne den Blick von der Straße zu wenden.
»Ich weiß es nicht.« Malaika sorgte sich wegen der Kopfwunde; die Verletzung war vielleicht nur oberflächlich, aber die Pupillen des Mädchens reagierten nicht. »Die Kopfwunde ist das Problem.«
Sie nahm die Hand der alten Frau in den Schoß und tätschelte sie. »Sie sagt, das Mädchen ist sechzehn. Sie ist ihre Tante. Das Mädchen hat keine Mutter mehr. Ihr Vater ist in Kisii, um Tee zu pflücken.«
Der Spätnachmittagsverkehr hielt sie auf, als sie zur Stadt kamen. Malaika wandte sich der Tante zu und fragte:
»Je, hospitali iko wapi?«
Die Frau hörte einen Augenblick auf zu weinen, um Malaika zu sagen, wohin sie fahren sollten. Malaika übersetzte für Jack. Sie war bestürzt, als sie das Krankenhaus erreichten, denn es war nichts weiter als eine Reihe miteinander verbundener Schuppen mit geschützten Gehwegen, die zu einem älteren zweistöckigen Gebäude führten.
»Jack, dort ist die Tür.« Sie zeigte darauf.
Jack zog die Handbremse unter einem Schild, auf dem
Bahati Nasibo
und in kleineren Buchstaben
Notaufnahme
stand. Er stieg aus und eilte zur hinteren Tür. Nachdem er das Mädchen vorsichtig herausgehoben hatte, wandte er sich Malaika zu und fragte: »Sie kommt doch wieder in Ordnung, oder?«
Sein Ton bewirkte, dass sie den Blick von ihrer Patientin zu seinem Gesicht hob. Was sie für schweigende Gefasstheit in einer Krise gehalten hatte, sah nun eher nach dem Beginn eines Schocks aus. Jack war bleich, und Schweißperlen standen auf seiner Oberlippe. »Ich denke, sie wird wieder gesund werden.« Sie legte die Hand auf seinen Arm und hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie seinen Zustand vorher nicht bemerkt hatte. »Die Ärzte werden es wissen.« Sie führte ihn zum Eingang, wo er das bewusstlose Mädchen auf eine Rollbahre legte. Malaika rannte voraus und wäre beinahe mit einer Gruppe zusammengestoßen, die einen alten Mann zum Ausgang führte. Rasch entschuldigte sie sich, dann rief sie in den leeren Flur vor sich:
»Kona hali ya hatari!«
Die Gruppe um den alten Mann starrte von Jack zu der Bahre zu Malaika, die nun den Flur entlangeilte, und schließlich zu der Tante, die wieder angefangen hatte zu klagen.
Malaika fand einen Arzt und erklärte ihm die Situation, während sie ihn dorthin zurückführte, wo Jack mit der Verletzten wartete. Der Arzt untersuchte das Mädchen rasch und brachte es dann weg. Jack wollte ihm folgen, aber Malaika rief ihn zurück.
»Jack, lassen Sie sie gehen. Wir können nichts mehr tun.«
Sein Blick folgte der Bahre, bevor er in den Notaufnahmebereich zurückkehrte. Malaika nahm die Tante am Arm und führte sie zu einer Bank, die sich an beinahe der gesamten Wand entlangzog. Das Gesicht der alten Frau war tränennass und angespannt. Sie drehte ihr buntes
Kanga
zu einem Knoten. Sie trug ein passendes Kopftuch, und Malaika nahm an, dass sie und ihre Nichte auf dem Weg zu einer wichtigen Person, vielleicht zum Haus eines Ältesten, gewesen waren. In ihrem
Chondo,
das sie immer noch über der Schulter trug, befand sich wahrscheinlich ein kleines Geschenk für die Gastgeberin, vielleicht ein paar Maiskolben oder Süßkartoffeln.
Jack setzte sich zu Malaika und der Tante auf die Bank, aber es dauerte nicht lange, bis er wieder unruhig wurde. Er stand auf, dann setzte er sich wieder. Schließlich begann er, auf und ab zu gehen, eine Silhouette vor den staubigen Jalousien an den Fenstern, hinter denen nun das goldene Licht der untergehenden Sonne zu sehen war.
Malaika erwachte von dem röchelnden Schnarchen der älteren Frau auf der Bank neben ihr. Sie schaute auf die Uhr: beinahe ein Uhr. Der letzte Notfall, ein Unfallopfer, war gegen zehn aufgenommen worden, aber ansonsten war es ein ruhiger Abend gewesen. Der Arzt war vor drei Stunden zu ihnen gekommen, hatte aber nur gesagt, dass das Mädchen unter Beobachtung stand.
Jack musste schließlich aufgegeben haben. Er war auf der anderen Seite des Eingangsbereichs auf einem Rollstuhl zusammengesackt, den Kopf gegen die Wand gelehnt. Malaika beobachtete, wie er sich bewegte, wie seine Finger in einer geheimen Traumszene zuckten. Sie hatte ihn für herzlos gehalten, und seine offensichtliche Sorge um das Mädchen hatte sie sehr überrascht. Der Unfall war nicht seine Schuld gewesen. Tatsächlich hätte es erheblich schlimmer enden können, wenn es ihm nicht gelungen wäre, das Auto von
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