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Die Tränen der Massai

Die Tränen der Massai

Titel: Die Tränen der Massai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Coates
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der Gruppe an der Bushaltestelle wegzulenken. Aber er schien von Schuldgefühlen gequält zu werden.
    Er brummte und zuckte heftig.
    Malaika stand auf und reckte sich. Sie fragte sich, ob sie ihn wecken oder in eine bequemere Stellung ziehen sollte, und beugte sich über den Rollstuhl. Plötzlich stieß er einen unterdrückten Schrei aus und wäre beinahe vom Stuhl aufgesprungen. Malaika fuhr zurück.
    Er hatte die Augen weit aufgerissen, aber einen Moment erkannte er sie nicht. Als ihm klar wurde, wo er sich befand, sackte er wieder auf den Stuhl zurück und schlug die Hände vors Gesicht. Seine Schultern hoben sich, als er tief Luft holte, und senkten sich wieder, als er sie gequält ausstieß. Abrupt setzte er sich aufrecht hin. »Geht es ihr gut?« Er sah Malaika forschend an. »Geht es dem Mädchen gut?«
    »Ich weiß es nicht. Ich wollte gerade den Arzt suchen.«
    Er fuhr sich noch einmal über das Gesicht und stand aus dem Rollstuhl auf.
    Im Flur begegneten sie dem Arzt, der ihnen entgegenkam. Er setzte die Brille ab und rieb sich die Augen. Malaika fragte nach dem Mädchen. Draußen schrie eine Eule traurig im Mondlicht.
    Malaika hörte dem Arzt schweigend zu. Als der Mann sich abwandte, bedankte sie sich.
    Es war nicht das erste Mal, dass sie solche Nachrichten überbringen musste, aber es war ihr noch nie so schwer gefallen. »Jack … es tut mir Leid. Sie ist tot.«
     
    Die Sonne hatte Nairobis Osthimmel gerade erst ein wenig heller werden lassen, als Jack den Landrover durch das weit offene rostige Stahltor fuhr, dessen Flügel schief in halb abgerissenen Scharnieren hingen. Eine Kletterpflanze, eine Art Erbse mit winzigen lila Blüten, hatte den rechten Torflügel vollkommen überwuchert. Jack schaltete den Motor ab. Die Stille des frühen Morgens senkte sich über sie. Das Gebäude, in dem sich Malaikas Wohnung befand, war einmal das Haus einer wohlhabenden Familie im älteren Teil von Parklands gewesen, nicht weit von seinem Club entfernt. Bear sagte, die Gegend sei vor Jahren bei den indischen Geschäftsleuten beliebt gewesen, aber die meisten waren nun in bessere Gegenden gezogen. In beiden Stockwerken hatten die Fenster grüne Holzläden. Der fleckige Rasen hatte unter den beiden großen Mangobäumen, die den Garten beherrschten, den Kampf ums Überleben aufgegeben.
    Jack bemerkte, dass die Vögel sangen. Malaika stieg aus und nahm ihre Reisetasche und die Aktentasche vom Rücksitz. Als Jack seine Tür öffnen wollte, war sie bereits an seinem Fenster und sagte: »Ich komme schon zurecht.«
    »Sind Sie sicher? Ich kann die Tasche rauftragen.«
    »Es ist schon in Ordnung.«
    »Sie sehen erschöpft aus.«
    »Sie ebenfalls.« Malaika zögerte einen Augenblick, dann legte sie ihm die Hand auf den Arm. »Gehen Sie schlafen.«
    Er wartete, bis sie lautlos durch die grüne Tür der alten Villa geschlüpft war, bevor er den Motor wieder anließ.
     
    Auf dem Parkplatz des Jacaranda zog Jack seine Tasche aus dem Auto und warf die Tür zu. Die schrägen Strahlen der Morgensonne fielen auf den Landrover und zeigten zum ersten Mal den Schaden, den der Laster verursacht hatte. Jack ließ die Tasche fallen, hockte sich hin und starrte die Schramme an. Sie begann als Streifen der grünen Farbe des Lasters an der vorderen Tür und endete als Delle kurz vor dem hinteren Kotflügel. Sieht nach nichts aus, aber es hat ein Leben gekostet, dachte er. Ein bisschen Farbe, und das Auto würde wieder in Ordnung sein. Aber das Mädchen … der Kontrast war obszön.
    Er richtete sich auf und ging zum Empfangstisch, um seinen Schlüssel abzuholen. Ein schläfriger Angestellter reichte ihm eine Telefonnotiz:
Vergiss nicht, mich auf dem Weg ins Büro abzuholen. Bear.
    Jack fiel vollständig bekleidet aufs Bett und starrte im Halbdunkel an die Decke. Der Tod des jungen Mädchens hatte unerwünschte Erinnerungen geweckt. Der Alptraum, der ihn im Krankenhaus in Kericho geweckt hatte, bewies, dass er den weißen Sand von Hawaii noch nicht hinter sich gelassen hatte.
    Ein leichter Wind, der die zugezogenen Vorhänge bewegte, ließ frühmorgendliche Schatten auf den Wänden tanzen. Jack holte tief Luft und versuchte, die verkrampften Muskeln in seinen Schultern zu entspannen.
     
    »Wir treffen uns am Ende des Strands.« Es klang, als riefe sie vom Telefon in der Lobby aus an.
    »Heute Abend?« Sie wusste, dass er am frühen Morgen abfliegen würde. Sie hatten sich beim Abendessen verabschiedet.
    »Ich habe es mir anders überlegt.

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