Die Tränen der Massai
haben. Selbst das schlichte Vergnügen eines Kaffees hatte unweigerlich Schuldgefühle nach sich gezogen. Jetzt war Jack froh, den Besuch bei der Polizei hinter sich zu haben. Zwei ganze Tage hatte dieser drohende Termin ihn beunruhigt, und es hatte ihn geärgert, dass das so war. Hawaii lag nun beinahe ein Jahr zurück, aber die Befürchtung, dass man ihn mit O’Haras Tod in Verbindung bringen könnte, so unwahrscheinlich das auch sein mochte, bewirkte immer noch, dass ihm kalter Schweiß ausbrach.
Aber so beunruhigend es zunächst auch gewesen war, seine Aussage auf dem Revier über den Unfall hatte geholfen, sein Gewissen zu erleichtern. Zunächst hatte er überhaupt nicht daran gedacht, dass er gesetzlich zu einer Aussage verpflichtet war, so erschüttert war er von dem Ereignis gewesen. Doch es war nicht die gesetzliche Verpflichtung, die ihn zur Polizei getrieben hatte, sondern Bhatra, der darauf bestanden hatte, dass Jack sofort zur Polizei gehen müsse. Wie er auf seine übliche wortreiche Weise verkündete, hatte Jack bereits gegen die kenianischen Gesetze verstoßen, indem er zwei Wochen gewartet hatte, um über den Tod der jungen Frau zu berichten.
Nun hatte Jack es hinter sich und war erleichtert, dass die Angelegenheit irgendwie ein Ende gefunden hatte. Die Erfahrung sagte ihm, dass seine Erinnerung an den Autounfall zwar schmerzhaft bleiben, aber im Lauf von Wochen und Monaten langsam schwinden würde. Bald schon würde es nur eine weitere unangenehme, aber entfernte Erinnerung sein. Die Zeit heilte Wunden. Zumindest die meisten.
Nachdem er sich gestattet hatte, den Vorfall in Kericho hinter sich zu lassen, hätte er eigentlich wieder ruhiger sein sollen. Aber eine andere verstörende Entwicklung lauerte im Hintergrund. Die Fähigkeit seines Geistes, ihn zu quälen, nahm anscheinend kein Ende.
Es war Malaika. Ihre Haltung ihm gegenüber schien sich in Kericho verändert zu haben. Sie wirkte … zugänglicher. Und genau das machte sie beinahe unerträglich attraktiv. Nun träumte er zu jenen Nachtzeiten, wenn er halb wach war und halb schlief, überwiegend von Malaika. Ihren beinahe katzenhaften Augen, ihren vollen Lippen, die auf ihn warteten. Und dann, wenn er sich auf ihren schlanken Körper senkte, hatte er das unerträgliche Bedürfnis, etwas Wildes zu tun. Etwas … Gefährliches. Er fragte sich, ob er je wieder den Körper einer Frau genießen konnte, nachdem er einmal süchtig nach O’Haras tödlichem Spiel gewesen war.
Voller Entsetzten sah er wieder die Waffe in seiner Hand.
Klick!
»Guten Morgen!« Malaika kam auf den Tisch zu und setzte sich ihm gegenüber. Die Morgensonne glänzte auf einer Malachitspange in ihren Zöpfen.
»Guten Morgen.«
»Oh.«
»Was ist los?«
»Sie sehen nicht gut aus.«
»Nein, ich bin in Ordnung, nur ein wenig …«
Sie legte den Kopf schief. »Immer noch nervös wegen Kericho?«
»Ja, ich denke, das ist es.« Er erzählte ihr von seiner Aussage bei der Polizei.
»Das haben Sie also hinter sich.«
»Ja.« Er war zwar froh, von den verstörenden Erinnerungen an O’Haras erotische Gleichung abgelenkt zu werden, wollte aber auch nicht an Kericho denken. Er ließ die Verkehrsgeräusche aus der Banda Street die Stille füllen, während er nach einer weiteren Ablenkung suchte. Dreirädrige Fahrradkarren schossen zwischen Autos hindurch und wurden angehupt.
Es war Malaikas Vorschlag gewesen, ihre wöchentliche Projektbesprechung bei Idi zu veranstalten. Der Kaffee war gut, und selbst bei aller Geschäftigkeit der Banda Street war es ein angenehmerer Ort als der Konferenzraum.
»Ich konnte nicht warten, also habe ich ohne Sie angefangen.« Er zeigte auf seinen Kaffee. »Tut mir Leid.«
»Nein, das ist schon in Ordnung. Ich bin wieder einmal zu spät.«
Bei diesen Worten erschien Idi neben ihr mit einem Kaffee. Sie bedankte sich.
Jack hatte gerade begonnen, ihr zu erzählen, dass er mit einem ihrer AmericAid-Kollegen gesprochen hatte, als ein vier oder fünf Jahre altes Mädchen mit einer Rotznase und einem zerrissenen Baumwollkleid ihm ihre schmuddelige Hand entgegenstreckte. Die Kleine schaute Jack mit traurigen Augen an. Er gab ihr ein wenig Kleingeld, und dann kehrte Idi auch schon zurück, um sie wegzuscheuchen.
»Es gibt in Nairobi schrecklich viele Bettelkinder«, sagte Jack, als das Mädchen weiter zum nächsten Café huschte.
»Aids-Kinder.«
»Wie meinen Sie das?«
»So etwas kommt dieser Tage oft vor.«
»Was kommt vor?«
»Dass
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