Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
oder um nicht mit deren Feindseligkeit Charles gegenüber konfrontiert zu werden, speiste Louise ab sofort abends nur mit ihrem Geliebten auf ihrem Zimmer.
Das üppige Mahl, das sie also in trauter Zweisamkeit eingenommen hatten – gebeiztes Wild und gefüllter Fisch, Honigkuchen, Cremes und eingelegte Früchte, alles wie immer zubereitet von
Jeannettes kundigen Händen – trug wesentlich dazu bei, sich den Geliebten gefügig zu machen.
Louise beherrschte es seit einiger Zeit bis zur Perfektion, diesen Zustand angenehmer Trägheit herzustellen, in dem sich ihr Charles quasi völlig unterwarf. Wie war es ihr nur gelungen, ihn sich vorübergehend so gefügig zu machen, was Bourbon tatsächlich duldete, seit Marguerite abgereist war?
Doch trotz aller Gefühlswallungen schmiedete sie vage Pläne. Würde sie ihn nach dem nächsten Italienfeldzug wiedersehen, wenn Königin Anne bis dahin vielleicht doch den ersehnten Thronfolger zur Welt gebracht hatte?
Der Duc de Bourbon war ihr nicht so verfallen, dass er für sie seine ehrgeizigen Pläne aufs Spiel gesetzt hätte. Louise wusste sich zwar sehr verführerisch und erfahren, vergaß darüber aber nicht die zehn Jahre, die sie von ihrem jungen Geliebten trennten.
Sie lag neben ihm auf der weichen Decke und betrachtete seine schlanken Finger, mit denen Charles gedankenverloren über den Knauf der alten Waffe strich, die sie ihm gerade geschenkt hatte. Langsam wanderte seine Hand zu der Klinge und streichelte geradezu wollüstig die Schneide, während er mit leerem Blick auf die geschlossenen Vorhänge vor den Fenstern starrte.
Jeder hing seinen eigenen, ganz unterschiedlichen Gedanken nach, und so versanken sie immer tiefer in geistige Abgründe, die sie beide unentschlossen ließen.
Woran mochte Charles de Bourbon, der dieser unerbittlichen Stiefmutter ausgeliefert war, die eine Zeit lang Louise erzogen hatte, wohl denken? Was sollte ihm in diesem Augenblick äußerster Entspannung in den Sinn kommen, wenn nicht seine größenwahnsinnigen Ziele.
Die Tochter Ludwigs XI. wachte eifersüchtig über die unermesslichen Schätze, die ihr der verstorbene Vater hinterlassen hatte,
und ihr Schwiegersohn war wohl der Letzte, der sie der Krone zurückgeben würde.
Charles hatte sich schon längst für ein Leben in Glanz und Gloria entschlossen und von seinem Größenwahn besessen nur eines im Kopf, nämlich das Erbe des Hauses Bourbon, das Suzanne in die Ehe eingebracht hatte, zusammen mit dem dazugehörigen gewaltigen Vermögen für sich zu behalten.
Seit Charles Suzannes Gatte war, kleidete man sich am Hofe der Beaujeu überaus prächtig. Selbst die Pagen trugen Uniformen aus gold- und silberdurchwirkter Seide, und die Diener und Lakaien sah man stets in prächtiger Livree. Die Stallungen strahlten nur so vor Sauberkeit, in den Salons, den Schlafräumen und Arbeitszimmern und in den Hallen waren wertvolle Kunstgegenstände zu bewundern, und überall glänzte Gold.
An seinem stets in feinste Seide gekleideten Oberkörper prangte immer eine dicke Kette mit einem schweren Medaillon aus seinem Lieblingsmetall Gold. Die Ketten und Medaillons hatte er von seinem verstorbenen Schwiegervater geerbt, der nie einen anderen Schmuck um den Hals getragen hatte.
Während er verträumt das erstaunliche, scharfe Geschenk von Louise streichelte, das Schwert, das von vielen errungenen Siegen glänzte – wahrscheinlich auch von einigen Niederlagen –, ging das Kaminfeuer langsam aus.
Keiner von beiden verlangte, dass es wieder entfacht wurde. Das letzte große Holzscheit zerfiel zu rot glühender, munter knisternder Glut, die sich unter dem bronzenen Feuerbock sammelte.
Louise sah dem Spiel des verlöschenden Feuers zu, bis es sie ganz benommen und schläfrig machte. Der dämonisch phosphoreszierende rote Lichtschein schien ihr die kurze amouröse Erregung anzukündigen, die sie brauchte, um ihre Sorgen zu vergessen.
Dabei bebte sie bereits vor Begierde, und ihre Augen versanken in denen ihres Geliebten.
Doch sogleich kehrten ihre sorgenvollen Gedanken mit Macht zurück. Wenn Charles de Bourbon triumphierend aus Italien zurückkam, konnte ihn seine unscheinbare und kränkliche Gattin nur selten zu sich ins Bourbonnais locken.
Warum verspürte Louise plötzlich solchen Zorn auf diese Frau, mit der sie einen Teil ihrer Kindheit verbracht hatte? Sie waren grundverschieden. Suzanne hatte im Gegensatz zu Louise kaum gelesen und deren intellektuelle Anstrengungen überhaupt nicht
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