Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
französischen Rechnungsbüchern auftauchten.
Alix brauchte keinen Kredit und wollte viel lieber, dass man ihr den Florentiner Baumeister vorstellte, der am Vorabend mit Pacello und Van Roome erschienen war. Aber an diesem Tag hatte der den Vogt von Lyon noch nicht mit seinem Besuch beehrt.
Alix lernte in Lyon so viele Leute kennen, dass sie sich nicht eine Minute langweilte. Sie wohnte mit Alessandro in einem schönen Gasthaus, in dem auch Catherine Briçonnet abgestiegen war.
Seit sie vor einer Woche nach Lyon gekommen waren, statteten sie dem Vogt, der jeden Tag Gäste empfing, nun schon den dritten Besuch ab.
»Darf ich Euch einen der berühmtesten Bildhauer Italiens vorstellen, Alix? Maestro Girolamo Viscardi.«
Alix wandte sich an Alessandro.
»Kennt Ihr ihn gut genug, um mich mit ihm bekannt zu machen?«
»Wer kennt ihn nicht?«
»Ich.«
»Wie ich sehe, unterhält er sich gerade mit dem berühmten Maler Andrea Solari. Sobald sie ihr Gespräch beenden, stelle ich Euch ihm vor.«
Catherine war restlos begeistert, wenn es um italienische Skulpturen ging. Sie wollte sie überall in ihrem neuen Schloss aufstellen. Chenonceau sollte ein würdiger Rahmen für die größten Kunstwerke der Bildhauerei werden.
»Viscardi bekommt den schönsten Marmor aus ganz Europa. Wusstet Ihr, dass er auch die junge Bildhauerin damit versorgt, die in Bologna und Norditalien wahre Wunderwerke vollbringen soll, Alix?«
»Eine Frau?«, fragte Alix erstaunt.
»Was erstaunt Euch daran so? Ihr seid doch selbst eine Frau«, gab Madame Bohier zurück.
»Wie heißt sie?«
»Properzia de Rossi. Ihre Arbeiten sind sehr gewagt. Vielleicht lernt Ihr sie eines Tages kennen.«
»Warum nicht?«
»Sie kommt oft nach Lyon, aber zurzeit hält sie sich, glaube ich, nicht in der Stadt auf. Mein Sohn Antoine möchte sie gerne treffen, ehe er den Marmor für die Abtei von Fécamp bestellt, wo man ihn gerade zum Bischof ernannt hat. Sie soll einen Tabernakel für die Heiligenblut-Reliquie mit einem Altar mit Basrelief anfertigen, einen Heiligenschrein und eine große Statue der heiligen Susanne.«
»Und Ihr behauptet, Euer Sohn wäre kein Geschäftsmann, Catherine!«, meinte Alix lachend.
»Ihr habt recht, die wichtigsten Grundlagen habe ich ihm beigebracht, ehe er sich ganz der Kirche zuwandte. Ich glaube, ich werde mich jetzt mit Viscardi bekannt machen.«
Sie deutete auf einen Mann, der allein vor dem mächtigen Kamin mit den lodernden Flammen stand.
»Ihr solltet zu Eurem Freund Sangallo gehen. Seht nur, da hinten ist Alessandro. Bis später, meine Liebe, wir sehen uns heute Abend in unserem Gasthof.«
Natürlich wollte sie Giuliano da Sangallo sehen und mit ihm sprechen. Alix wusste – sie hatte es von Alessandro erfahren –, dass er nach Blois eingeladen worden war und dort ein Modell für ein Königsschloss für Louis XII. angefertigt hatte. Ein bewundernswürdiges Vorhaben, prächtig ausgestattet und groß genug für den gesamten Hofstaat. Aber aus der Sache war nichts geworden. Als enger Freund des Kardinals della Rovere, des späteren Papst Julius II., mit dem er vor Alexander Borgia ins Exil geflüchtet war, machte Sangallo nun den Lyoner Höfen emsig seine Aufwartung.
Die Villa Medici in Poggio a Caiano, nicht weit von Florenz, gehörte zu Sangallos Meisterwerken. Seine Bauweise mit geräumigen Sälen und großen Mittelhallen machte bereits in den französischen Schlössern Schule.
»Es freut mich sehr, Euch kennenzulernen, Maître Sangallo. Sire Van de Veere hat mir schon viel von Euch erzählt.«
»Giuliano«, unterbrach sie Alessandro, »Dame Alix wünscht mit Euch über eine Person zu sprechen, für die Ihr vor einigen Jahren gearbeitet habt.«
»Ja, über unseren König von Frankreich«, erklärte sie kurz und bündig.
»Louis XII. Ja, den kenne ich. Ich habe einmal ein schönes Modell für ihn gemacht.«
»Habt Ihr nie wieder für ihn gearbeitet?«
»Er hat mich nicht rufen lassen.«
»Und wenn er es täte?«
»Würde ich wahrscheinlich nicht nein sagen. Habt Ihr denn mit ihm zu tun?«
»Sobald er aus Italien zurück ist, muss ich ihm sechs Wandteppiche liefern, die mit der Signatur T für Tours meine Werkstätten verlassen haben.«
»Wie darf ich das verstehen – sechs Teppiche aus Euren Werkstätten?« Er klang nicht hochmütig, hatte aber die Stirn hochgezogen und schien irritiert.
»Ich bin eine Teppichweberin aus der Touraine.«
»Wie das?«
»Ich habe die Werkstätten meines verstorbenen
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