Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
und auch der König machte sich darüber schon Gedanken.
Noch am selben Abend schrieb Louise einen Brief an ihre Freundin Alix.
Meine liebe Alix,
Königin Anne frohlockt, und ich auch. Wir sind Marschall de Gié los, und zum ersten Mal frohlocken wir aus ein und demselben Grund. Sie, weil sie nicht länger diesen Bretonen ertragen muss, der die Bretagne an Frankreich verraten hat; ich, weil er mich nicht länger von meinem Sohn trennt.
Und obwohl ich nun endlich von meinem Folterknecht befreit bin, quälen mich die immer gleichen Ängste, meine liebe Alix, weil die Königin wieder schwanger ist.
Heute Morgen wurden meine Anstrengungen jedoch zu meiner großen Freude belohnt. Der wiedergenesene König hat François d’Angoulême offiziell zum französischen Thronfolger ernannt und wird seine Entscheidung bei der nächsten Ratsversammlung öffentlich bekannt geben. Anschließend wird der Erlass in ganz Frankreich verkündet. Wohl aus Verärgerung über diesen Entschluss hat die Königin beschlossen, für eine Weile in die Bretagne zu reisen. Der König ist einverstanden, hat aber nicht gestattet, dass sie mit ihrer Tochter reist – angeblich weil sich die Kleine in Blois sehr wohl fühlt und nicht auf ihre gewohnte Umgebung verzichten will.
Nachdem uns de Gié verlassen musste, haben wir jetzt einen
neuen Hauslehrer namens Artus Gouffier, Seigneur de Boissy. Er ist höchstens dreißig Jahre alt, klug und rechtschaffen, hat einen offenen Blick und eine angenehme Art. Unsere erste Begegnung verlief sehr erfreulich, und ich bin überzeugt, dass er einen sehr guten Einfluss auf meinen Sohn haben wird. Dieser junge Lehrer ist in Begleitung eines anderen jungen Mannes bei uns eingetroffen, der sechzehn Jahre jünger ist als er. Er heißt Guillaume de Bonnivet, ist der Halbbruder von Seigneur de Boissy und scheint sehr an ihm zu hängen. François und Guillaume waren sich vom ersten Augenblick an sympathisch, weil sie die gleiche ungestüme Lebenslust haben. Ich sehe schon, dass dieser neue Gefährte meinem Sohn wie sein Schatten folgen wird.
Ach, meine liebe Alix, die ganze Zeit erzähle ich nur von mir und frage gar nicht, wie es Euch, Euren Werkstätten und Euren Aufträgen geht! Dabei habe ich Euch noch längst nicht alles berichtet, was sich hier am Hof von Blois ereignet. Marguerite ist auf einen jungen Herrn aufmerksam geworden, von dem sie nun dauernd spricht, und ich selbst habe bemerkt, dass mich ein Edelmann nicht aus den Augen lässt. Es handelt sich um den Gatten der unglücklichen Suzanne de Beaujeu, den Duc de Nemours, Charles de Montpensier. Wir sind uns schon einmal in Plessis-lès-Tours begegnet, aber damals haben sich unsere Blicke kaum gekreuzt. Er ist groß und schlank und sehr vornehm, und ich bin mir beinahe sicher, dass ich ihn am Hof in Amboise wiedersehen werde.
Ich warte gespannt auf Neuigkeiten von Euch, liebe Alix. Schreibt mir doch bitte, wenn Ihr mich nicht besuchen könnt.
Hoffentlich bis bald,
Eure Louise
3.
Seit Mathias zurück war, wagte Alix nicht mit ihm zu sprechen. Musste sie jetzt immer vor Angst zittern, wenn sie wegfahren wollte? Bei ihrer nächsten Reise ging es nicht um einen Auftrag, und Mathias kannte sich auch viel zu gut im Geschäft aus, als dass sie ihm etwas vormachen konnte. Als er an diesem Abend merkte, wie unwohl sich Alix fühlte, nahm er sofort eine Verteidigungshaltung ein und schien sich sehr unbehaglich zu fühlen. Auch hörte er kaum zu, als Julio von den Fortschritten berichtete, die Angela an ihrem Flachwebstuhl machte.
»Sie hat jetzt zum ersten Mal die Schussfäden selbst gezogen und das Dekor angefertigt.«
»Und was ist mit den Millefleurs?«
»Die Millefleurs werde ich auch bald können, Dame Alix«, versprach Angela, ohne den Blick von Julio zu lassen, der eilig fortfuhr:
»Sie ist wirklich sehr begabt und wird im Laufe der Zeit immer besser werden. Die Rapporte bringt sie schon sehr gut an und achtet genau darauf, dass Vorder- und Rückseite exakt gearbeitet sind.«
Alix sah sich nach Bertille um, die mit einer duftenden Hühnersuppe erschien.
»Du bist eben auch ein guter Lehrmeister, Julio«, lobte sie ihn und wich Mathias’ Blick aus.
»Und ich habe eine gute Schülerin«, gab der junge Weber zurück.
»Wenn ich zurückkomme, Julio, solltest du …«
»Wo willst du denn hin?« Mathias konnte sich die Frage nicht verkneifen.
»Nach Blois, die Comtesse d’Angoulême hat mich eingeladen.«
Warum sagte sie nicht: ›Ich bleibe in
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