Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Tours, weil ich mit Alessandro Van de Veere zusammen sein will und ich ihn hier zu Hause unmöglich treffen kann‹? Zu Louise war sie erst später eingeladen. Ihr blieb eine ganze Woche mit Alessandro, ehe sie nach Blois aufbrechen musste.
»Vielleicht sind die Jungfrauen des Vatikan s ja fertig, wenn ich zurückkomme, Julio!«
»Wenn wir noch Bordüren weben müssten, dann glaube ich das eher nicht.«
»Trotzdem sollten wir diese Bordüren, die in Italien so beliebt sind, möglichst bald übernehmen!«
»Glaubt Ihr wirklich, dass sie gut zu unseren Millefleurs passen, Alix?«, fragte Angela.
»Wir müssen nur unsere Motive anders entwerfen.«
»Die flämischen Weber denken bereits darüber nach. Dort wird schon über schmale Bordüren mit verschlungenen Arabesken und Blattwerk diskutiert. In Lille hörte ich einige von ihnen sagen, die italienischen Maler versuchten sie zu den neuen pikturalen Formen zu bekehren, die sich ihrer Meinung nach auch sehr gut für Webarbeiten eignen.«
»Welche Weber waren das, und was haben sie sonst noch gesagt?«
Wegen der enormen Aufregung, die die Präsentation ihres Meisterwerks vor der Webergilde des Nordens ausgelöst hatte, bei der sie vehement von Kardinal Jean de zu Villiers und dem Bankier Alessandro Van de Veere verteidigt worden war, hatte sie kaum Gelegenheit gehabt, die anderen Weber anzuhören.
»Ich habe gehört, wie die Maîtres de Welde mit dem Brüsseler Maler Colijn de Coter und dem Domherrn von Bayeux, Léon Conseil, darüber gesprochen haben.«
»Mit dem Domherrn von Bayeux! Ist er nicht der Auftraggeber vom Leben der Jungfrau Maria ?«
Diesmal hörte Mathias Julio zu, weil ihn alles, was mit Wandteppichen zu tun hatte, unweigerlich interessierte. Er war aber fest entschlossen, kein Wort zu sagen.
»Glaubt Ihr, dass Sire Van de Veere noch mehr von den Florentiner Jungfrauen bei Euch bestellen wird? Die Jungfrauen des Vatikans sind beinahe fertig.«
Als der Name des Bankiers fiel, sah Alix Mathias an. Er starrte auf seinen Teller und tat so, als hätte er nichts gehört. Nachdem Julio nun einmal das Thema angeschnitten hatte, wollte sie ganz offen und ehrlich darauf antworten, obwohl sie sich vor diesem Augenblick gefürchtet hatte.
»Ehe ich nach Blois reise, treffe ich den Bankier Van de Veere. Er wird mir verschiedene Aufträge erteilen, darunter einige herrschaftliche Szenen auf Millefleurs, um die du dich in dem Kontor im Val de Loire vor allem kümmern musst, Julio.«
Mathias war plötzlich bleich und wirkte angespannt; er stand auf und verließ wortlos den Tisch.
»Aber Mathias, Ihr habt doch gerade erst Eure Suppe gegessen!« , rief die Bertille.
»Ich habe keinen Hunger mehr.«
Immerhin warf er Alix einen flüchtigen Blick zu und sagte dann tonlos:
»Ich gehe Nicolas noch gute Nacht sagen. Bis morgen.«
»Bis morgen«, antworteten Julio und Pierrot im Chor.
Der eine konnte sich denken, warum Mathias so aufgebracht war, der andere hatte keine Ahnung. Julio mit seinem feinen Gespür
entging nichts. Außerdem hatte er den Aufstand miterlebt, bei dem die Gildemitglieder wie Kampfhähne aufeinander losgegangen waren, und sogar Jean de Villiers in der heftigen Auseinandersetzung zur Seite gestanden – er wusste bestens über die leidenschaftlichen Gefühle Bescheid, die Sire Van de Veere und Alix verbanden.
»Was hat er denn?«, wollte Pierrot wissen und sah Alix fragend an.
Bertille wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab und verdrehte die Augen zum Himmel. Dann baute sie sich vor Alix auf, fest entschlossen, ihr die Meinung zu sagen.
»Er findet, dass Ihr zu oft weg seid, und da hat er auch recht. Warum wollt Ihr los, um neue Aufträge zu holen, wenn Ihr nicht mal genug Leute habt, um die Bestellungen zu erledigen, die sich in der Werkstatt häufen?«
»Kümmre dich bitte um deine Angelegenheiten, Bertille«, sagte Alix spitz. »Die Werkstätten gehen dich nichts an.«
Bertille zuckte die Schultern.
»Ihr wisst jedenfalls sehr gut, dass ich recht habe. Oder wollt Ihr etwa Euer ganzes Leben auf der Straße zubringen?«
In dieser Nacht fand Alix keinen Schlaf und wälzte sich stundenlang unruhig im Bett hin und her. Einige Male war sie drauf und dran, aufzustehen, zu Mathias zu gehen und ihm zu versprechen, dass sie doch zurückkommen und dann nicht so bald wieder weggehen wollte. Aber konnte sie das überhaupt? Sobald sie in Alessandros Armen lag, würde sie sich diesem süßen, kurzen Leben hingeben und alles
Weitere Kostenlose Bücher