Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
er die Fackel, deren Lichtschein über ihre Brust und ihren Bauch flackerte. Als sie merkte, dass er sie hingerissen vom Kopf bis zu den Fußspitzen bewunderte – das sanfte, goldene Licht wanderte über ihren ganzen Körper –, drehte sie sich zur Seite und nahm seine Hand.
»Komm«, flüsterte sie.
Verrückt vor Verlangen wusste Alessandro nicht mehr, ob er sich auf sie stürzen oder ihr Liebesspiel so lange wie möglich auskosten wollte. Alix atmete heftig, ihre Lippen verlangten nach einem Kuss. Er drückte seinen Mund auf ihren. Sie rollte sich auf den Rücken, zog ihn aufs Bett und genoss die kühle Seide von seinem Wams auf ihrer nackten Haut. Mit seinen langen Beinen hielt Alessandro sie gefangen. Seine Hände glitten über ihren Körper und entfachten ihre Lust.
Alix erstickte fast vor Glück und näherte sich schon dem Gipfel des Genusses, als Alessandro sich zu entkleiden begann, weil er ihre Erregung spürte und ihm ihre süßen Seufzer verrieten, wie empfänglich sie für seine Zärtlichkeiten war.
Als es Tag wurde, war Alix viel zu müde um aufzustehen. Sie hatte das Gefühl, die ganze Erschöpfung der langen Tage auf dem Rücken ihres Pferdes bräche plötzlich und mit aller Macht über sie herein. Wie viele Stunden mochte sie in den Armen ihres Geliebten geschlafen haben? Zwei oder drei, bestimmt nicht mehr. Die restliche Zeit war mit leidenschaftlichen, wilden Liebesspielen vergangen, und ehe sie es sich versahen, wurde es auch schon hell.
Alessandro war schon auf und stand in seinem schwarzen Wams, roter Hose und dem hermelinbesetzten Barett vor ihr – bereit aufzubrechen, wohin es die Geschäfte verlangten, mit anderen
Männern zu diskutieren, zu debattieren, zu verhandeln. Jetzt aber beugte er sich über Alix und küsste sie auf den Mund.
»Ruh dich aus, mein Herz! Heute Abend hole ich dich ab. Dann mache ich dich mit dem Vogt von Dijon bekannt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dir keinen Auftrag gibt, wenn ich es ihm vorschlage.«
Alix ruhte sich wirklich aus, blieb lange im Bett und ging dann ein wenig flanieren. Sie besuchte Jason im Stall und vergewisserte sich, dass es ihm an nichts fehlte, kehrte auf ihr Zimmer zurück, träumte vor sich hin und ließ sich ihr Essen schmecken. Als Pernette ihre gereinigten und gebügelten Kleider brachte, schlüpfte sie in ihr weißes Hemdchen, den malvenfarbenen duftenden Unterrock und schließlich in ihr nun wieder leuchtend himmelblaues Kleid.
Mit einem prüfenden Blick in den Spiegel vergewisserte sie sich, dass sie anmutig und schön wie nie war, und lächelte bei dem Gedanken an den Abend, an dem sie nicht nur ihren Geliebten, sondern auch noch den Gastgeber verzücken wollte.
Selbstbewusst schmückte sich Alessandro vor versammelter Runde mit seiner jungen Maitresse – ganz der allmächtige Florentiner Frauenheld. Wie man sich schon in Lille vor ihm verneigt hatte, so geschah es nun auch in Dijon. Bei seinem Erscheinen wurde er mit ehrerbietigen Begrüßungen und guten Wünschen überhäuft, die er ungerührt entgegennahm. Nur wenn er jemand persönlich kannte, bedankte er sich mit einem Wort oder einer freundlichen Geste.
Das galt zum Beispiel für Jacques Mirepoix, der eine kleine Verbeugung vor ihm machte, weil ihm Alessandro bei der Einladung des Stadtvogts sofort aufgefallen war. Alessandro erwiderte den Gruß mit einem freundlichen Lächeln und wollte sich wieder Alix zuwenden, die aber zu seiner Überraschung von seiner Seite verschwunden war.
»Sucht Ihr die zauberhafte Sibylle, die Euch eben noch mit ihren Blicken verschlungen hat? Ich fürchte, im Moment widerfährt meinem Bruder diese Ehre. Kommt mit mir.«
Mit erhobenem Zeigefinger bedeutete Mirepoix Alessandro, ihm zu folgen. Alix und André waren noch ganz gefangen von ihrer Wiedersehensfreude; sie befreite sich gerade aus seinen Armen, als Alessandro und Jacques Mirepoix zu ihnen traten.
»Na, was habe ich Euch gesagt?«
»Kein Grund zur Aufregung«, beruhigte ihn der ältere Bruder, der zu der festlichen Abendeinladung beim Stadtvogt eine kostbare Brokatrobe trug. »Alix und ich haben uns ein kleines Tête-à-Tête wahrlich verdient«, fuhr er fort und musterte Alessandro Van de Veere aufmerksam, während Alix Jacques Mirepoix begrüßte. Alessandro entgingen die kritischen Blicke des Domherrn nicht, und er versuchte abzulenken:
»Verehrter Domherr, darf ich Euren Schützling dem Stadtvogt von Dijon vorstellen? Er ist ein großer Verehrer der
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