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Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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nur solche schrecklichen Erlebnisse für sie vorgesehen?
    Sie war gerade erst fünfzehn, als sie ihr erstes Kind auf dem alten Château de Cognac zur Welt brachte. Das Schloss gehörte Louise d’Angoulême, der sie ihren sterbenskranken Mann nach Hause gebracht hatte. Der Herzog war vom Pferd gestürzt und schon halbtot, als sie ihn von der Straße aufgesammelt hatte. Louise war es nicht gelungen, das Leben des viel zu schwächlichen Kindes zu retten.
    Einige Jahre später war sie wieder hochschwanger, als ihr Mann Jacquou der schrecklichen Pest zum Opfer fiel, die im ganzen Land wütete. Weil sie viel zu geschwächt war, starb auch ihr zweites Kind kurz nach seiner Geburt.
    Und als sie nun zum dritten Mal ein Kind zur Welt bringen sollte, herrschten wegen der verheerenden Italienkriege, die die französischen Könige immer wieder von neuem schürten, einmal mehr grauenhafte Zustände.
    Das Donnern der Kanonen hallte bis zur Lagune von Venedig, und die Republik wartete auf den Angriff.
    Ein dritter Kanonenschlag, den die Venezianer womöglich für ein Feuerwerk hielten, weil ihre eigene Artillerie zehnmal stärker war, traf immerhin eine Handvoll deutscher Landser, die sich vermutlich Zugang zur Stadt verschaffen wollten. Sie wurden getroffen
und bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt. Die Kanonen schossen von einem nahen Hügel, um die Stadttore zu verteidigen.
    Das Kind musste gleich kommen, und Alix war wie von Sinnen vor Schmerz. Sie spürte die kalten Hände der Frau auf ihrem Bauch und musste wieder schreien. Ganz kurz sah sie Tania, die ihr behutsam übers Gesicht strich.
    Als sie den ersten Schrei ihres Neugeborenen hörte, antwortete sie mit einem Schrei der Erleichterung und Freude, um sofort in tiefe Ohnmacht zu fallen, weshalb sie nicht hörte, was die kaltherzige Frau sagte.
    »Es sind Zwillinge. Hoffentlich ist das andere ein Junge. Ich glaube, er kommt auch gleich. Was machen wir jetzt?«
    »So eine Überraschung!«, meinte Théodore zu seiner Schwester.
    »Nein! Du hast kein Recht dazu! Nein!«
    Sie stürzte sich auf ihren Bruder und wollte ihn schütteln, brachte es aber nur zu ein paar harmlosen Faustschlägen. Théodore stieß sie viel grober zurück als beim ersten Mal. Sie erschrak über seine brutale Art und begann zu schluchzen.
    »Lass mich in Ruhe!«, fauchte er sie an. »Du brauchst schließlich kein Geld!«
    Sie war starr vor Entsetzen, als sie einsehen musste, dass er seinen ungeheuerlichen Plan nicht aufgeben wollte. Musste sie ihren Bruder denunzieren und damit auf die Galeeren schicken? Den Bruder, den sie über alles liebte und von dem sie noch nie getrennt war?
    In welch schreckliches Dilemma war sie da geraten? Sie mochte Alix sehr gern und entdeckte immer mehr Ähnlichlichkeiten zwischen ihr und ihrer Mutter. Trotzdem war sie nicht bereit, ihren Bruder zu verraten. Wer würde ihr außerdem glauben, wenn sie jetzt herausbrüllte, dass ein ehemaliger byzantinischer Sklave, den
eine Französin freigekauft hatte, gerade dabei war, ebendieser Frau ihre Kinder zu stehlen, um sie zu verkaufen?
    Um sie herum kämpften die Männer ums nackte Überleben. Die Soldaten liefen an ihnen vorbei, ohne sie zu beachten – jeder versuchte nur seine Haut retten.
    Die ideale Gelegenheit für Théodore und diese skrupellose Frau, ihren üblen Plan auszuführen. Keiner würde etwas bemerken.
    Neue Schmerzattacken rissen Alix aus ihrer Ohnmacht. Sie war am Ende ihrer Kräfte, ihre Augen starrten ins Leere. Tania lief zu ihr und beugte sich über sie.
    »Habt keine Angst, Dame Alix«, flüsterte sie, »es wird alles wieder gut.«
    Sie drehte sich um und sah eine Reitergruppe. Die Männer ritten ganz dicht nebeneinander, als wollten sie verhindern, dass sie von einer Kanonenkugel getrennt wurden. Nur ein Reiter ritt voraus. Tania sah zu Alix, aber die war wieder bewusstlos geworden.
    Dann hörte Tania hinter sich etwas – nicht den Einschlag einer Kugel, nicht einen vorbeizischenden Pfeil und auch keinen Todesschrei, sondern eine Stimme, die sie unter tausenden erkannt hätte, obwohl sie sie noch gar nicht oft gehört hatte, weil sie vielleicht ihrem Retter gehörte.
    »Da ist sie!«, rief der eine Reiter. »Ich versichere Euch, diese Frau ist Französin.«
    »Seigneur d’Amboise!«, schrie Tania und sah, wie die furchtbare Frau im selben Augenblick nach dem neugeborenen Kind griff, das sie Alix auf den Bauch gelegt hatte.
    »Nein!«, rief Tania noch einmal verzweifelt. »Das dürft Ihr nicht!«
    Aber zu

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