Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
Werkstätten arbeiteten hervorragend, und dank Alessandro produzierte sie mehr denn je.
Aber das sollte sich von nun an alles ändern. Sie dachte an den Maler Raffael und an die Zeichnungen, die er ihr überlassen hatte. Sobald sie wieder zu Hause war, wollte sie sich an die Arbeit machen. Zur Freude des neuen Königs von Frankreich wollte sie Grotesken und Triumphbilder weben. Was hatte sie jetzt noch in Italien verloren? Die Ideen der Renaissance hatte sie längst verinnerlicht. Sie musste nirgendwo anders mehr nach ihnen suchen.
Sie würde Alessandro beweinen, aber sie würde ihn auch vergessen. Das war lebensnotwendig.
»Wie ist er gestorben?«, fragte sie immer noch scheinbar unbeteiligt.
»Nachdem Euer Onkel, Jean de Villiers, befreit worden und in den Vatikan zurückgekehrt war, wurden die drei Bankiers, die ihn begleitet hatten, in der Lagune von Venedig, nicht weit von Agnadel, unter Feuer genommen.«
Alix zerriss es fast das Herz.
»Drei Bankiers?«, fragte sie nach, obwohl sie eigentlich noch mehr wissen wollte. Etwa ob er leiden musste oder nach ihr gefragt hatte.
»Ja, es waren drei Bankiers: der Florentiner Van de Veere und die beiden Franzosen Briçonnet und Bohier. Sie waren alle auf der Flucht vor Julius II., der sie mit mörderischem Hass verfolgte, weil sie ihm das verlangte Geld verweigert hatten. Der Florentiner sollte auf Befehl der Medici nach Spanien fliehen. Die beiden Franzosen waren auf dem Weg zu Louis XII.«
»Madame Briçonnet ist eine meiner besten Freundinnen«, erwähnte Alix wie nebenbei. »Bestimmt ist sie zutiefst betrübt über den Tod ihres Gatten. Aber sie ist stark und wird sich gewiss bald von dem Schock erholen.«
Sie seufzte.
»Und Bohier war ihr jüngerer Bruder.«
Damit beendete Alix die Unterhaltung, und Charles d’Amboise musste sich mit dem Anblick dieser schönen Frau begnügen, die sich fortan in Schweigen hüllte.
25.
Louise fühlte sich sehr wohl in Amboise, wo sie ein äußerst angenehmes Leben führte, das vom Lauf der Flüsse und ihrer Zuflüsse und vom Wechsel der Jahreszeiten bestimmt war. Louise hatte gelernt, sich auf die vielen Capricen der extravaganten Loire einzustellen, zu denen sich noch der launische Cher und der eher wehmütige Indre gesellten.
Das Val de Loire! Ein Ortswechsel, der sie fasziniert und verführt und voll und ganz in seinen magischen Dunst aus Teichen, dichten Wäldern und duftenden Weinbergen gehüllt hatte. Eine Landschaft, der alle französischen Könige verfallen waren, seit Karl VII. Orléans zum Thronlehen ernannt hatte.
Louise liebte das Val de Loire. Daran gab es keinen Zweifel mehr, auch wenn sie sich einschränken musste, weil nur François auf Blois in den Genuss königlichen Luxus kam. Dafür hatte sie hier viel Platz und Luft zum Atmen und konnte ein beschauliches Dasein führen.
Abgesehen von der Landschaft, deren Farbpalette sich mit den Jahreszeiten wandelte und mit dem bewegten Himmel verschmolz, trug auch das Schloss selbst zu ihrem Wohlergehen bei.
Die großen, hellen Zimmer waren alle kostbar tapeziert. Dicke Vorhänge und Wandteppiche vor Türen und Fenstern verhinderten, dass die Kälte durch die unvermeidlichen Ritzen drang. Im Winter wärmten dicke Teppiche den Boden – und nicht wie andernorts Heu und Stroh.
Die Kamine mit ihren mächtigen verzierten Einfassungen verschlangen
gierig die prasselnden Flammen; griffbereit neben den Feuerstellen türmten sich Holzstapel, die ständig aufgefüllt wurden. Die Bratspieße in den Schlossküchen drehten sich ständig, und die Herdfeuer gingen nie aus. Darüber wurde Tag und Nacht gewacht.
Die Kochutensilien schienen ebenso zahlreich wie die verschiedenen Speisen. Man konnte meinen, für jedes Gericht gab es ein eigenes Gerät. Töpfe und Pfannen, Krüge, Platten und Gabeln hingen aufgereiht an der Wand oder türmten sich in den Regalen. Es fehlte wirklich an nichts, was man zur Herstellung eines Festmahls brauchte.
Von den Zimmern und Küchen aus konnte man durch das ganze Schloss laufen, von Zimmer zu Zimmer, die Treppe im Donjon benutzen, die Türme, die Kapelle und den bedeckten Wehrgang betreten. Anne de Bretagne hatte zahlreiche Verbindungstüren und -gänge neu anlegen lassen und so das Leben auf dem Schloss deutlich erleichtert.
Die Wendeltreppen waren weder eng noch finster und mussten immer sauber sein, weshalb es dort auch nie stank. Was die Hygiene anbelangte, so übernahm Louise die Regeln von Königin Anne und achtete peinlich auf
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