Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
deren Einhaltung. Gästen, Lakaien oder Dienstboten war es strengstens untersagt, auf den Treppen oder in irgendwelchen finsteren Ecken ihre Notdurft zu verrichten. Dafür hatte man hinter den Garderoberäumen Aborte eingerichtet; mehr davon gab es in der Nähe des Wehrgangs und bei den Nebengebäuden.
Mit einem Wort – der Logis Royal, in dem jetzt Louise und ihre Tochter wohnten, verfügte mittlerweile über ausreichenden Komfort.
Die Tour des Minimes und die Tour Hurtault kannte Louise inzwischen in- und auswendig, so oft hatte sie die mächtigen Türme umrundet.
Am anderen Ende des Wehrgangs, über den sie in die Kapelle
Saint-Hubert wollte, entdeckte Louise Antoinette, die lächelnd auf sie zukam.
»Wollt Ihr mich begleiten, Antoinette? Ich glaube, ich muss einige Gebete sprechen.«
Die Freundin sah sie erstaunt an.
»Nein, Bourbon ist noch nicht abgereist«, erklärte sie ihr, »aber es wird nicht mehr lange dauern. Er ist bei seinem Schildknappen, der seinen neuen jungen Rotfuchs striegelt, der ihn über den Verlust seines Pferdes hinwegtrösten dürfte. Wolltet Ihr das wissen?«, fragte sie und nahm Antoinette am Arm.
Madame de Polignac, die sich in einen warmen Pelzmantel gewickelt hatte, nickte.
»Werdet Ihr nach Blois reisen, Louise?«, fragte sie.
Mit der freien Hand schlang sich Louise den Schalkragen ihres Mantels um den Hals, weil ein kalter Wind wehte.
»Ja«, antwortete sie, »und ich würde mich sehr freuen, wenn ich nicht auf Eure Gegenwart verzichten müsste. Wollt Ihr mich begleiten?«
Irritiert zog Antoinette ihre Stirn in Falten, wobei man sehen konnte, dass sie die vierzig längst überschritten hatte.
Dabei hatte sie noch immer ein sehr schönes Gesicht, war groß und schlank und bewegte sich nach wie vor sehr elegant.
»Ich weiß nicht recht, Louise«, sagte sie ein wenig verlegen. »Natürlich würde ich Euch gern begleiten, aber Jeanne müsste bald zurückkommen.«
»Mit neuen Nachrichten von Eurer Tochter.«
Mit schnellen Schritten steuerte Louise auf die Kapelle Saint-Hubert mit ihrer wunderbar geschnitzten Holztüre zu.
»Macht Euch wegen mir keine Sorgen, Antoinette. Dann reise ich eben allein mit Catherine und René. So bleibt mir noch mehr Zeit mit François.«
»Fehlt er Euch so sehr?«
»Das wisst Ihr doch«, seufzte Louise. »Nicht einmal Charles de Bourbon kann mir die Sehnsucht nach François vertreiben.«
Ihr schöner Geliebter Charles! Bis über beide Ohren war sie in den ehrgeizigen jungen Mann verliebt, den sie jetzt mit einem Vorgeschmack auf die Privilegien locken konnte, mit denen sie ihn als Mutter des Königs von Frankreich eines Tages überschütten würde.
Überhaupt hatte Louise bereits festgestellt, dass sich jetzt einige Leute an sie wandten, die sie früher ignoriert, übersehen oder schlichtweg links liegen gelassen hatten.
Doch obwohl Louise durchaus wusste, wie ehrgeizig ihr junger Liebhaber war, wollte sie die Hoffnung nicht aufgeben, sie könnte ihn eines Tages, wenn er Witwer geworden war, heiraten und sich auf diesem Weg das große Erbe zurückholen, das ihr Anne de Bretagne genommen hatte. Nur durch die Heirat mit Suzanne war Charles in den Besitz ihrer Ländereien und Güter gelangt. Während er in ihren Armen von den höchsten Ämtern am französischen Hof träumte, wurde sich die kluge Louise dessen immer bewusster.
Im Augenblick dachte sie allerdings nur an ihre bevorstehende Reise nach Blois.
»Bleibt nur hier, wartet auf Jeanne und lasst sie von Madeleine erzählen. Das wird Euch sicher trösten«, sagte sie.
Arm in Arm eilten sie mit kleinen Trippelschritten Richtung Kapelle. Die Luft war kalt, auch wenn sie in dem bedeckten Wehrgang ein wenig vor ihr geschützt waren, und ließ erahnen, dass der Winter noch nicht vorbei war.
»Ich muss jedoch schon sagen, ohne Jeanne und ohne Euch, meine liebe Antoinette, ist mein Gefolge nicht gerade stattlich. Ich denke, ich werde wenigstens noch Philibert und Jean-Baptiste mitnehmen.«
Mit einem Lachen fügte sie hinzu:
»Mir scheint, ich werde allmählich alt, weil ich zunehmend mehr Männer als Begleitschutz brauche. Irgendwie habe ich das Gefühl, die Straßen werden immer gefährlicher.«
»Wollt Ihr nicht noch ein paar Diener mitnehmen? Das wäre keine allzu große finanzielle Belastung.«
»Ihr wisst sehr gut, Antoinette, dass die Königin meine Besuche in Blois hasst! Ginge es nicht um meinen Sohn, hätte sie mich vermutlich längst von ihrer Gästeliste gestrichen.«
Da
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