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Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)

Titel: Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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unsere Bauern genug zu essen?«, fragte sie, als sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte. »Hatten sie genug Mehl für die langen Wintermonate?«
    »Jaja, von den Männern ist keiner verhungert«, sagte der eine und nickte.
    »Soll das heißen, dass Frauen gestorben sind?«
    »Was soll man machen?«, meinte er. »Aber es war nur eine Alte, deren Zeit sowieso rum war, und zwei Neugeborene, die viel zu mager waren.«
    Dann drehte er sich nach den beiden Reitern um.
    »Ist das alles?«, fragte Louise zerstreut und drehte sich ebenfalls um, weil sie wissen wollte, ob es wirklich de Bourbon und sein Schildknappe waren.
    »Mehr waren’s nicht, Madame Gräfin«, antwortete der Mann erstaunt.
    Da wurde auch Louise der beiläufige Ton bewusst, in dem sie gerade über drei Menschen aus ihrer Domäne gesprochen hatte, die dem harten Winter zum Opfer gefallen waren.
    Antoinette beeilte sich, die ungewohnt anteilnahmslose Art ihrer Freundin zu korrigieren, und sagte:
    »Wir haben immer wieder gesagt, dass man sich an uns wenden soll, wenn es einen Notstand gibt. Wahrscheinlich war diese Frau einfach schon zu alt, um noch länger zu leben, und die Neugeborenen hätten vielleicht auch in einem milderen Winter nicht überlebt?«
    Als sie auf den Schlosshof fuhren, waren Charles und sein Schildknappe nicht mehr weit. Die beiden hatten ihre Pferde gezügelt, weil sie den Karren nicht überholen wollten. Bourbon hatte die beiden Frauen nämlich erkannt und wollte möglichst in ihrer Nähe bleiben.
    Im Innenhof hörte man Lärm, plötzlich kam Leben ins Hauptgebäude. Türen und Fenster schlugen, und das Ausfalltor wurde geöffnet, um den Männern mit ihrem Karren den Zugang zum Schloss zu erleichtern.
    Bei den Hellebardieren auf dem Wehrgang fand gerade der Wachwechsel statt. Seit François nach Blois umgezogen war, hatte sich die Zahl der Wachen allerdings deutlich dezimiert. Nun drehten nur noch wenige ihre Runden. Zwei Wachen waren am Ausfalltor postiert, eine am Haupteingang, und von Zeit zu Zeit sah man einen Helm ganz oben auf den beiden hohen Türmen und den Eckwarten auftauchen.
    Die Dienstmädchen klapperten mit den Wassereimern. Jeden Morgen mussten sie den Tagesvorrat aus dem Brunnen holen.
    Philibert kam aus den Stallungen und brachte ein Pferd für den Schlosskoch von Amboise. Das Tier schien wild und stampfte ungeduldig mit den Hufen. Auch der Schildknappe Gonfreville kam aus den Ställen, und Louise sah, wie der stets ansehnlich auftretende Fünfzigjährige einem jungen Ding eindeutige Zeichen machte, das gerade vorsichtig versuchte, einen randvollen Eimer aus dem Brunnen zu ziehen.
    Mitten im Hof wartete Jean-Baptiste darauf, dass die Damen Anquielle, Panivoise und Dublecourt den bereitstehenden Wagen bestiegen, der sie in die Stadt zurückbringen sollte, nachdem sie ihre Arbeit auf dem Schloss abgeliefert hatten.
    Louise winkte Dame Anquielle freundlich zu. Die alte Hutmacherin, die Antoinette und Marguerite erst kürzlich durch das junge Fräulein mit seinem neuen Geschäft an der Burgmauer ersetzt hatten, gefiel Louise entschieden besser.
    Dame Anquielle grüßte sie aus dem Wagen, den Jean-Baptiste vom Schlosshof lenkte. Es kam nicht selten vor, dass Louise den Putzmacherinnen Kutscher und Wagen zur Verfügung stellte, wenn die zu mehreren ihre Dienste auf dem Schloss anboten.
    Als die Kutsche durch das große Tor des Innenhofs verschwand, sah Louise Bourbon hoch zu Ross durch das Ausfalltor kommen.
    »Bitte nehmt den Vogel und bringt ihn zu Catherine, Antoinette«, sagte sie. »Ihr habt schon recht, sie kann ihm bestimmt am besten helfen.«
    Antoinette ging, und Bourbon kam auf Louise zu, sprang vom Pferd und nahm ihre Hand.
    »Ich dachte schon, wir würden uns nicht mehr sehen, Charles«, flüsterte sie.
    Ein Lächeln spielte um seine Lippen, und er schien zu allem bereit, zu Zärtlichkeiten, verliebten Worten, erregenden Schauern.
    »Bitte verzeiht mir, ich wurde aufgehalten.«
    »Das sehe ich.«
    Er sah ihr in die Augen und streichelte mit seinen schönen langen Fingern zärtlich Louises Hand.
    »Ihr wisst, ich muss leider aufbrechen«, sagte er und küsste ihre Hand.
    »Wie viel Zeit bleibt dir?«, flüsterte sie verliebt.
    »Eine Stunde vielleicht, höchstens zwei.«
    »Mehr nicht?«
    »Wie ich höre, willst du auch verreisen, Louise«, erwiderte er mit einem spöttischen Lächeln.
    »Das ist wahr. Ich will meinen Sohn in Blois besuchen.«
    »Was sollen wir also tun?«
    Charles war einer der

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