Die Tränen der Prophetin: Roman (German Edition)
d’Alençon glücklich machen konnte? Und er, würde er alles tun, damit sie gemeinsam in Eintracht und Frieden
leben konnten? Oder womöglich in Liebe? Marguerite hatte keine Erinnerung an ihn. War sie ihm eines Tages bei einem Souper, auf einer Jagd oder einem Fest am Hofe begegnet? Sie wusste es einfach nicht. Er hatte gar keinen Eindruck bei ihr hinterlassen. Das konnte eigentlich nur bedeuten, dass er eine sehr langweilige Erscheinung sein musste.
Marguerite seufzte, und ihr Blick wanderte über die Wände des prächtigen Schlafzimmers, in dem sie die Nächte vor ihrer Hochzeit verbringen sollte. Hier hingen die sechs Wandteppiche, die Alix für ihre Mutter gewebt hatte. Damen und Einhörner blickten sie wohlwollend an und wünschten ihr ein friedliches Leben, eine befriedigende Ehe und hoffentlich viele Kinder zu ihrem Glück.
Beim Anblick der Teppiche musste Marguerite an Alix denken, die Freundin ihrer Mutter, die sich in Italien aufhielt, um die neuesten Ideen der Renaissance nach Frankreich zu bringen. Hoffentlich war sie rechtzeitig zu ihrer Hochzeitsfeier zurück.
Die Tapisserien gehörten jetzt Marguerite. Die Comtesse d’Angoulême hatte sie ihrer Tochter zur Hochzeit geschenkt. Diese Geste war nur möglich, weil sich der König als überaus großzügig erwies. Er hatte Louise genug Geld für neue Wandteppiche zur Verfügung gestellt, die sie bei ihrer Freundin in Auftrag geben konnte.
Marguerite wusste, was für ein kostbares Geschenk das war. Tapisserien dieser Größe kosteten ein Vermögen! Sie waren genauso viel wert wie ein hochkarätiges Juwel. Nur der Hochadel konnte sich solche Ausgaben leisten.
Sobald sich Marguerite nicht mehr durch die schönen Teppiche von Alix ablenken ließ, kehrten die ernsten Fragen zurück, auf die sie keine Antwort hatte. Wieder seufzte sie, um sich von dem bitteren Geschmack in ihrer Kehle zu befreien. Aber es war kein ergebener Seufzer – dafür war sie viel zu temperamentvoll, sondern eher Ausdruck düsterer Vorahnung.
Sie lauschte dem ruhigen Atem Catherines vom anderen Ende des großen Zimmers und schlief schließlich ein.
Es war sinnlos, weiter zu grübeln, wenn doch nach langem Hin und Her an einem schönen Wintermorgen endgültig beschlossen worden war, wer Marguerites Ehemann werden sollte. In drei Tagen wurde ihre prunkvolle Hochzeit gefeiert.
Seit dem Vorabend waren die edlen Herren der Chapelle Royale, also des Hoforchesters, auf Château de Blois, trieben zur Eile an, wurden dabei immer lauter und schienen fest entschlossen, für das Fest ihr Bestes zu geben.
Der Schlosshof erinnerte an ein einziges großes Übungsgelände – schon früh am Morgen ging es dort hektisch zu, Befehle wurden gebellt, und die Antworten waren nicht immer fein. Die Maschinisten waren eifrig mit Aufbau und Organisation beschäftigt, tatkräftig unterstützt von den Wachsoldaten und den Dienstboten, die man ihnen für das Fest unterstellt hatte.
Man hatte eine große Orgel in den Ständesaal transportiert, in dem die Konzerte und Bälle stattfinden sollten.
Der Chorleiter war sehr besorgt, und dem Organisten, der aufgeregt im Schlosshof auf und ab lief, stand der Schweiß auf der Stirn, und er fächelte sich ständig mit einem kleinen weißen Taschentuch frische Luft zu.
Als er seinen Ärger an den Untergebenen auslassen wollte, hatte Louise schon versucht, den Organisten zu besänftigen. Aber nicht einmal Imbert Chandelier, dem ständigen Gast der Comtesse, war es gelungen, ihn zu beruhigen. Im Gegenteil, er hatte ihn nur noch mehr gereizt.
Robert Fayrfax von der Abtei Saint-Alban, der das gesamte Orchester dirgieren sollte, regte sich ebenfalls immer mehr auf, und obwohl ihn der König, der aus Italien zurückgekehrt war, am Abend zuvor freundlich begrüßt hatte, fühlte er sich nervös und überfordert.
Als der Organist schließlich übelst zu fluchen begann, schien die Katastrophe unausweichlich.
»Zum Teufel! Einer der verdammten Blasebalge aus Stierhaut ist gerissen!«, zeterte der Organist.
Sein Gehilfe, der Orgelstimmer, ein Gnom mit grüner Hose und Federhut, näherte sich unschlüssig und bedeutete mit versteinerter Miene, dass er etwas derart Unglaubliches noch nicht erlebt hätte.
»Das ist schlecht! Da gibt es wohl keine Lösung«, jammerte er und schüttelte den Kopf.
»Verdammt! Was soll das heißen, keine Lösung? Der Sattler soll auf der Stelle kommen!«, tobte Fayrfax.
»Der Sattler kann auch nicht verhindern, dass Luft durch die Pfeife
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